Vor 40 Jahren: Gorbatschow tritt an

Eine kritische Würdigung

Wir schreiben die mittleren 80er Jahre. Computer kennen weder das Internet noch Viren noch Passwörter. Die meisten Leute kennen Computer aus den Kinderzimmern ihrer Sprößlinge. Mit Telefonen wird eigentlich nur telefoniert.
So wie es später über den „alternativlosen“ Neoliberalismus in einem paradoxen Bonmot heißen wird, jeder könne sich eher das Ende der Welt vorstellen als ein Ende des Kapitalismus, erscheint in den 80er Jahren die internationale Lage bleiern und ewiglich. Die zwei Supermächte stehen sich seit 40 Jahren bis an die Zähne bewaffnet gegenüber. Das nukleare Waffenarsenal ist seit Jahrzehnten apokalyptisch, und die einen sagen, gut so, das bietet Sicherheit (Abschreckungsdoktrin), die anderen befürchten, die Menschheit habe noch höchstens 10 oder 20 Jahre. Jedenfalls kann sich jeder eher ein Ende der Welt vorstellen als ein Ende der UdSSR oder der USA, ein Ende der statisch wirkenden Konfrontation der Supermächte, die sich die Welt in Einflußzonen aufgeteilt haben.
Den Rest besorgt die Konvergenztheorie: Im Westen werde die Marktwirtschaft immer sozialer, im Osten werde der Sozialismus immer zivilisierter; denn immerhin müssen die verfeindeten Gesellschaftsentwürfe ja miteinander konkurrieren.
Was im 21. Jahrhundert passieren wird, ahnt noch niemand.

»Das Versprechen Gorbatschows, die Reformen würden nicht bloß Verbesserungen bringen, sondern eine neue, noch nie dagewesene Form von Demokratie und sozialistischer Wirtschaft hervorbringen, sprach gerade jene Linke an, die zuvor den Realsozialismus kritisch gesehen hatten. Das Scheitern dieses Vorhabens schadete dementsprechend diesen weltweit mehr und dauerhafter als denjenigen, die bis heute der Sowjetunion nostalgisch nachtrauern.« (Ewgeniy Kasakow)
Zum wiederholten Mal stellen wir uns daher die entscheidende Frage, die – in seinem Kontext – auch den tragischen Generalsekretär umgetrieben haben dürfte: In welchem Verhältnis stehen eigentlich Voluntarismus und Sachzwang?
Wie so oft wollen wir sowohl die realhistorische Dimension beleuchten als auch in die theoretisch-kategorische, sozusagen geschichtsphilosophische Dimension vorstoßen ...

 

»Charmant, aufrichtig, intelligent und zutiefst von den Idealen eines Kommunismus durchdrungen, den er seit Stalins Aufstieg korrumpiert sah, war Gorbatschow paradoxerweise zu sehr Organisator für das Tohuwabohu der demokratischen Politik, das er selbst herbeigeführt hatte. Er war zu sehr ein Mann der Komitees, um entscheidende Aktionen ausführen zu können.«

»Wenn es überhaupt irgendeinem einzelnen Menschen zugeschrieben werden kann, den vierzigjährigen globalen Kalten Krieg beendet zu haben, dann ihm.«
(Eric J. Hobsbawm)

 

Sendetermin
Sonntag, 16. März 2025 - 20:00 bis 22:00
Freitag, 4. April 2025 - 14:00 bis 16:00
Tags
Sendung: