Nächtens nicht umnachtet: DADA!
0:00 bis 2:00 Uhr:
Konformismus Kunstlump klaren Kopf kirre machen
Oft hat man sich gefragt, warum aus unzähligen klugen Sentenzen eines gewissen Philosophen ausgerechnet dieser unscheinbare Satz immer wieder zitiert wird:
"Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen." (1951)
Hin und wieder wundert man sich dann aber doch über gesellschaftliche Entwicklungen, die derart selbstläufig vonstatten zu gehen scheinen, daß doch niemand solches forciert haben könne. Und man merkt, wie wahr besagter Satz doch ist, wie wichtig ein klarer Kopf, wie unabdingbar ein eigenes Urteil. Dies nötigt einem allerdings die unerquickliche Anstrengung ab, die Zustände und die Verhältnisse gewissenhaft zu reflektieren – wohl wissend, daß auch die geglückte Reflexion an sich noch nichts an der Misere zu ändern imstande ist.
Querfunk wartet heute mit Beiträgen auf, die das Übel aus ganz verschiedenen Perspektiven reflektieren:
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Bereits vor hundert Jahren – es tobt der Große Krieg und geht bei Verdun in blanken Wahnsinn über – wird das grundlegende Problem präzise erkannt und sogleich in eine revolutionäre Bewegung transformiert: Im Züricher Klub Cabaret Voltaire gründet sich im Februar 1916 Dada und erklärt die Welt zur Farce, um ihr den Kampf anzusagen. Die Nonkonformisten praktizieren eigentlich nichts anderes als den versteinerten Verhältnissen ihre eigene Melodie vorzuspielen und sie so zum Tanzen zu bringen.
Natürlich mußte die negative Bewegung sich – nach ihrem Versagen vor der Weltgeschichte – von dieser dann doch schließlich in die Museen und bürgerlichen Feuilletons eingemeindet wiederfinden, gegen die sie doch zu ihren besten Zeiten noch vehement angestänkert und geätzt hatte. Letzteres belegt das Manifest "Was ist der Dadaismus und was will er in Deutschland?", 1919 verfaßt von Raoul Hausmann. Erstaunlicherweise hat es wenig von seiner Aktualität verloren. - Als weiterer Beleg dafür, daß Dada alles andere als schelmische Kleinkunst war, wird "Der Kunstlump" (von John Heartfield und George Grosz, 1920) rezitiert. Natürlich ist aber "Dada" längst selbst eine Farce, daher läßt sich heute so feuilletonistisch, kommod und ungefährlich darüber reden.
- Unbekümmert von Walter Benjamins Beobachtung (1936) einer "Ästhetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt", hat sich in Berlin um das Jahr 2010 ein "Zentrum für politische Schönheit" gegründet. Was unbedarften Zeitgenossen auf den ersten Blick wie eine (gewollte oder unfreiwillige) Neuauflage von Dada erscheinen mag, ist das bare Gegenteil: Bedienen opportuner Denkschablonen, zahnloses Event-Spektakel, Huldigen des Politikfetischs, Einheimsen von Kulturpreisen, Mitschwimmen im Strom allgemeiner Konfusion, mangelnde Staatsfeindschaft.
- Detlev Claussen spricht über "kritische Theorie heute" (Vortrag vom November 2013 in Berlin) und gibt etliche der Reflexion zuträgliche Denkanstöße.
2:00 bis 4:00 Uhr:
Kleiner Literatursalon: "Nach Venedig der Liebe wegen"
Literarische Texte aus drei Jahrzehnten von Ilse Bindseil
Die Lesung fand im Januar 2012 in Alt-Treptow (Berlin) statt, es lesen Christel Dormagen, Wulf Niepold und die Autorin selbst.
Im einzelnen sind zu hören:
- "Nach Venedig der Liebe wegen" (1988)
- "Apropos Mathilde" (1995)
- "Erleuchtung" (2004)
- "Geschichten vom Schmutz" (2004)
Die Lesung wird mit ausgewählter Musik von Paul Hindemith (1895-1863) in Form kurzer Intermezzi aufgelockert. Die Querflöte spielt Wulf Niepold.
Ilse Bindseil
Geboren 1945, Studium an der Freien Universität Berlin, lebt in Berlin. Seit Ende der 1960er Jahre schreibt sie über gesellschaftstheoretische Themen, insbesondere über Philosophie, Politik, Psychoanalyse; seit Ende der 1970er Jahre veröffentlicht sie auch Literarisches. Schreibt für 'Ästhetik & Kommunikation' und 'konkret'.
Damit Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, auch nachts geistig nicht unterfordert oder gar umnachtet werden, senden wir hin und wieder eine Querfunk-Themennacht, unter dem Titel NÄCHTENS NICHT UMNACHTET.
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