Kult der Unmittelbarkeit – Zur Kritik des Anarchismus
Warum taugt der Anarchismus immer nur zur Pose, zur Revolte – und nicht zur Revolution?
Der Anarchismus als Inbegriff von Herrschaftskritik hat einen eigentümlichen Ruf: Einerseits haftet ihm die Aura des Radikalen, des Unkompromittierbaren an, umso mehr als sich sein ideologischer Rivale, der Marxismus – vermeintlich oder wirklich – im Realsozialismus historisch diskreditiert hat. Andererseits ist diese Reputation erkauft durch die holzschnittartige Klischeehaftigkeit (und böse Zungen behaupten: die Komplexitätsreduktion) der anarchistischen Kritik, die ihr jene Unersthaftigkeit verleiht, sie gar zur Wirkungslosigkeit verurteilt und sicherlich zum guten Teil durch eine gewisse Theoriefeindschaft bedingt ist. Was in so manchen Spielarten des Anarchismus wiederum durch eine "Propaganda der Tat" zu kompensieren versucht wird, die seit jeher vor allem Jugendbewegungen imponiert.
Warum der libertäre, anarchistische Impuls, keine Herrschaft zu dulden, in seiner unmittelbaren Plausibilität nie an Dringlichkeit eingebüßt hat; und warum die anarchistische Theorie dennoch defizitär und damit zur Wirkungslosigkeit – oder gar schlimmerem – verdammt ist? Zwei Beiträge dazu:
-
Ein Vortrag von Uli Krug: "Links trifft rechts. Zur Entstehung der faschistischen Ideologie" (gehalten in Jena, 2013), bzw. an anderer Stelle unter dem Titel "Staat und Wahn. Faschismus, Syndikalismus und Arbeiterbewegung in Italien und Deutschland".
Krug nimmt hier Bezug auf ideologische Tendenzen und historische Bewegungen ca. zwischen 1870 und 1930, insbesondere wird beleuchtet, was es mit dem Klischee des Bombenlegers auf sich hat.
-
Ein Essay von Magnus Klaue: "Wie sich Völker bilden. Das Individuum und die Gemeinschaft in der anarchistischen Theorie des 20. Jahrhunderts" (2009).
Klaue arbeitet sich in seiner Auseinandersetzung mit Erich Mühsam und Gustav Landauer ins Innere der anarchistischen Ideologie vor und unterzieht sie einer subtilen Kritik.
"In einem speziellen Milieu [...] artikulierte sich um 1900 die Sehnsucht nach einer kathartischen Reinigung der Welt in wirren Programmen zu ihrer rücksichtslosen Zerschmetterung. [...] Das fragliche Milieu war sozial zwar randständig, mental aber auf der Höhe der Zeit: Es handelte sich um die intellektuellen Anarchisten, die die Wunderwelt der Sprengstoffchemie zu entdecken begannen". (Uli Krug)
"Die sprachliche Dichte dialektischer Philosophie [...], mit der Anarchisten selten auf gutem Fuß standen, verdankt sich dem Versuch, tatsächlich das ganze Labyrinth zu durchschreiten, das durchqueren muß, wer das Allereinfachste erklären will. Der Anarchismus reagiert auf diese Herausforderung, indem er sich eine Abkürzung durchs Labyrinth sucht und supponiert, im Grunde seien alle Menschen, wie sie sind, bereits von sich aus in der Lage, die freie Menschengesellschaft zu verwirklichen, wenn man sie nur ließe." (Magnus Klaue)
.