»KI« ... Konditionierte Intelligenz

Was erwartet jemand, der „eine KI“ fragt, was sie in letzter Zeit verblüfft hat, oder was sie kürzlich besonders nachdenklich gemacht hat? Was erwartet so jemand von einer Maschine, die sich seriell und (in menschlich-psychoanalytischen Begriffen gesprochen) zwanghaft pausenlos durch Mega- und Giga- und Terabytes beliebiger Daten, Texte, Bilder, Klänge schaufelt?

„KI“ … Konzern-Intelligenz

Die sogenannte Künstliche Intelligenz arbeitet ganz nach Art des Barons Guttenberg, perfekt beherrscht sie die Disziplin der Nacherzählung.
Jetzt befinden wir uns in der höchst paradoxen Situation: Was Jahrhunderte lang ein Traum der Menschheit war, der general intellect, die allgemeine Intelligenz, eine informierte, aufgeklärte, kompetente Öffentlichkeit, das ist auf einmal da. Aber nicht in Form eines öffentlichen Subjekts, sondern in Form konkurrierender KI-Maschinen, die nicht nur privatwirtschaftlich verfaßt sind, sondern auch – und hier endet die schöne Öffentlichkeit – Betriebsgeheimnissen unterliegen. Niemand weiß, ob diese sogenannte künstlichen Intelligenzen manipuliert werden und von wem und in welche Richtung. Eine große Debatte ist längst darüber entbrannt, ob die an Unmengen von Materialquellen eingelernten konditionierten Intelligenzen nicht vor rassistischen, sexistischen usw. Inhalten geschützt werden müssen (damit sie sie nicht wiederum nachplappern). Was, wie bei Menschen auch, unmöglich bis müßig werden dürfte, wenn das quasi nachträglich geschehen soll. Ist der mentale Dreck erstmal eingesogen, wird er schnell zum integralen Bestandteil des eigenen Weltbilds, und nur drangebastelte Filter könnten das Äußern solcher Ideologeme unterbinden, ohne doch die Ideologie an sich kritisieren oder pulverisieren zu können. Diese Intelligenzen sind mithin nicht Intelligenz per se, sondern höchst partikulare, private Dienste, profane Produkte eigentlich, die vermutlich diese Konkurrenzsituation kaum angemessen reflektieren können – soweit sie überhaupt zur Reflexion fähig sind.

Die große Nivellierungsmaschine

Kann „KI“ gute Pamphlete schreiben, polemisch sein, geistreich sein? Kann „KI“ mit sich hadern, mit einer Textidee schwanger gehen, über konzeptionelle Entscheidungen nochmal schlafen, überhaupt: schlafen? Angeblich reorganisiert sich ja das Gehirn im Schlaf, kommt zur Ruhe usw., wie die Forschung jedenfalls sagt. Sicherlich hat das Träumen eine mentale Funktion. „Künstliche Intelligenz“ träumt wohl eher nicht.
Will die „künstliche Intelligenz“ auch nur irgend etwas, hat sie einen Drive? Die Psychoanalyse lehrt ja, daß jeglicher menschliche Antrieb aus einem verborgenen oder verbogenen („sublimierten“) somatischen „Trieb“ kommt, also auf Lust, Glück, Befriedigung aus ist – und sei es eine geistige, kulturelle. Kennt das „eine KI“? Nein.
Guten Texten aber merkt man das an, sie wollen etwas, sie sind originell. Und nicht nur re-arrangierte Komposita aus einem unüberschaubaren Quellenfundus. Diese devote Dienstbarkeit, schon im Duktus der KI-Machwerke, die ist aufgeklärten Leser suspekt. Eine Autorin mit echtem Hirn würde auch mal entnervt schreiben „Wie oft denn noch?!“, wenn man ihr pausenlos zumuten würde, redundante Auftragsarbeiten zu erledigen.

Und: Wie gelangt „Wissen“ in die sogenannte Künstliche Intelligenz? In der Philosophie des 18. Jahrhunderts haben Empiristen und Sensualisten mit Rationalisten wie Kant darum gerungen zu erklären, wie es geistige Inhalte ins menschliche Hirn schaffen und was sie da tun. Und natürlich kommen sie aus den Sinnesorganen dahin. Die glorreiche „KI“ jedoch wird, anstatt mit eigenen Eindrücken, gefüttert mit Unmengen bereits textualisierter (also versprachlichter) Inhalte, die dann in einem Gespinst verkopften Verwaltungsapparats geordnet und bestenfalls miteinander abgeglichen werden. Geistige „Erfahrung“ (im Sinne Adornos z.B.) ist das mitnichten. Eine Crux künstlicher Intelligenz ist sicher, daß sie alles Neue in ihr bereits bestehendes Wissen einbauen (integrieren) bzw. dranbauen (ergänzen) muß, und auf diese Weise ggf. notwendig werdende Paradigmenwechsel nicht vollziehen kann. Nach Piagets Erkenntnistheorie wäre aber genau das der Unterschied zwischen Assimilation und Akkomodation. Ein Bewußtsein – Intelligenz mithin – kennt die Erfahrung, auch mal ganz falsch gelegen zu haben, befangen zu sein, seiner eigenen Unzulänglichkeit gewahr zu werden; oder schlicht verschnaufen zu müssen.
Lust am Denken, Lust am Widerspruch, all das muß einer „KI“ fremd sein und verschlossen bleiben. Neugier ebenso, ohne die doch aber nichts geht. Hat man künstliche Intelligenz jemals über irgendetwas staunen sehen?

 

Sendetermin
Sonntag, 18. Mai 2025 - 20:00 bis 22:00
Freitag, 6. Juni 2025 - 14:00 bis 16:00
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