"Kein Glück ohne Fetischismus"
Der ideologische Staubsauger und dialektische Katalysator Sachzwang FM wartet heute gleich zweimal mit professoralen Vorträgen auf. Einmal mehr nähern wir uns der Psychoanalyse Sigmund Freuds:
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Friedhelm Kröll spricht über "Produktive Dissonanzen: Adorno liest Freud". (Freiburg, Januar 2016)
Gleichsam in eine Formel gefaßt, findet sich in Freuds Spätwerk das Programm der Psychoanalyse als Aufklärung und Therapie: „Ihre Absicht ist es ja, das Ich zu stärken, es vom Über-Ich unabhängiger zu machen, sein Wahrnehmungsfeld zu erweitern und seine Organisation auszubauen, so daß es sich neue Stücke des Es aneignen kann. Wo Es war, soll Ich werden. Es ist Kulturarbeit, etwa wie die Trockenlegung der Zuydersee.“ Nicht, daß Freud das „Schicksal der Partialtriebe“ bei der Trockenlegung der régions humides übersehen hätte. Im Gegenteil, eine seiner bedeutendsten Entdeckungen ist ja die infantile Sexualität. Aber anders als in Form von Unterdrückung – also Verdrängung und Sublimierung, endlich der Zentrierung der vielstrebigen Partialtriebe in Richtung auf den zielstrebigen, fortpflanzungsgeeichten Coitus – schien Freud die das Ich bildende Kulturarbeit weder denkbar noch machbar. Das hat seinen wesentlichen Grund darin, daß der Schöpfer der Psychoanalyse Halt gemacht hat vor der gesellschaftstheoretischen Entzifferung des „Realitätsprinzips“, dem mächtigen Widerpart des „Lustprinzips“.
An einer unscheinbaren Stelle hat Adorno jene Programmformel der Psychoanalyse aufgegriffen, um sie zu konterkarieren; nicht zufällig im Kontext ästheto-theoretischer Einlassungen: „Nach der Sprache der Psychoanalyse gehörten im emanzipierten Werk Ausdruck und Konstruktion so zusammen wie Es und Ich. Was Es ist, soll Ich werden, sagt die neue Kunst mit Freud. [...] Wie der richtige Mensch nicht der wäre, welcher den Trieb unterdrückt, sondern einer, der ihm ins Auge sieht und ihn erfüllt, ohne ihm Gewalt anzutun und ihm als einer Gewalt sich zu beugen, so müßte das richtige Kunstwerk heute zu Freiheit und Notwendigkeit modellhaft sich verhalten.“
Es ist schon so, wird aber gerne übergangen: Die gesellschaftskritische Psychologie bei Marx und die konservative Anthropologie Freuds klingen nicht so ohne weiteres zusammen. Aus den Dissonanzen hat die Kritische Theorie ihre Funken geschlagen. Im Wege eines Streifzuges soll Adornos Lesart der Psychoanalyse – seine Diagnose der „entstellten Vielheit des Triebes“ infolge der Kardinalsünde des hyperidentischen Ichs als Herrschaftsform – konturiert werden.
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Helmut Dahmer spricht darüber, "Warum uns Psychotherapie nicht weiterhilft. Ein Plädoyer für Psychoanalyse". (Wien, Mai 2014)
Ein erstaunlich großer Teil der Texte Sigmund Freuds beschäftigt sich mit „kulturkritischen“ - sprich: gesellschaftskritischen - Themen. Nicht selten in radikaler Weise: „Es braucht nicht gesagt zu werden, daß eine Kultur, welche eine so große Zahl von Teilnehmern unbefriedigt läßt [...], weder Aussicht hat, sich dauernd zu erhalten, noch es verdient.“ Dennoch wird Psychoanalyse in der Öffentlichkeit fast ausschließlich als Behandlungstechnik „seelischer Probleme“ wahrgenommen. Als eine Psychotherapie-Methode neben anderen, mit höchst umstrittener „Effizienz“. Die Formel: Psychoanalyse ist eine – wenn auch sehr spezielle – Form der Psychotherapie, entspricht auch dem Selbstverständnis der meisten praktizierenden Psychoanalytiker. Psychotherapie aber (und das bringt allein schon der Begriff „Effizienz“ unmißverständlich zum Ausdruck) bewegt sich innerhalb jener gesellschaftlichen Koordinaten, die das Leiden ihrer Klienten erst verursachen. Und verfestigt sie – statt sie in Frage zu stellen.
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