Die Welt als Machenschaft. Der getrübte Blick der Globalisierungskritik

"Der Kapitalismus hat nicht gesiegt, er ist nur übrig geblieben."

Nach der Zeitenwende um 1990 war es zunächst inopportun und nicht schicklich, die bestehende Verfassung der Gesellschaft zu kritisieren, schließlich hatte das hiesige System in der ein halbes Jahrhundert währenden Konfrontation der Supermächte gesiegt – oder war schlicht übrig geblieben. Während also immer nur von "Freiheit und Demokratie", von politischen Kategorien also, die Rede war, höchstens noch von segensreicher Marktwirtschaft, blieb die Existenz und eventuelle Problematik eines Kapitalismus seltsam diffus und verdrängt. Daß "das Ende der Geschichte" aber eben wohl doch nicht "die beste aller Welten", schon gar nicht eine friedliche und wohlhabende, hervorgebracht haben könnte, schwante spätestens um die Jahrhundertwende immer mehr Menschen. Weil aber die Identifikation der bestehenden Gesellschaft als Kapitalismus immer noch tendenziell ein Fall für Staatssicherheitsorgane wie den Verfassungsschutz war, wurde es seit dem neu angebrochenen Jahrhundert Mode, ersatzweise "die Globalisierung" anzuprangern, denn in fernen Ländern mit schwächeren Volkswirtschaften und ärmeren Menschen traten die Disparitäten der Weltwirtschaft – wie seit jeher – am offensten und krassesten zutage. Wo gehobelt wird, fallen Späne: Kein effektiver Konkurrenzdruck ohne öffentlich ausgestelltes Versagen von Verlierern, sagt einem der analytische Verstand.

Die eher chimärenhafte weltweite Linke der vergangenen Jahrzehnte verstand sich also in großen Teilen als globalisierungskritisch. Unsere Untersuchungen, um ihrem begrifflichen Instrumentarium auf den Zahn zu fühlen, behandeln vor allem das Verhältnis von Markt und Staat, die Frage also, ob der eine böse und der andere gut sei, wie es große Teile der Antiglobalisierungsbewegung nahelegen. Oder ob es nicht doch der Staat ist, der die unheilvolle Veranstaltung der Kokurrenz überhaupt erst organisiert, ja konstituiert.
Nicht umsonst spricht die rechte, eigentlich authentische Variante der Globalisierungskritik vom "Globalismus", als sei dies ein politisches Programm oder eine Ideologie, ja eine Machenschaft. Demnach müsse nur "den Globalisten" das Handwerk gelegt werden. Entgegen dieser volkstümlichen Erkenntnisverkürzung vollzieht sich aber eine Ausbreitung und Entgrenzung, sprich Globalisierung des Handels, ja der Distribution, Konsumtion und Produktion in internationaler Arbeitsteilung quasi naturwüchsig, sobald die technischen Möglichkeiten einmal Weltmarkt und Vernetzung ermöglichen. Ganz ohne Buhmänner, aus ökonomisch-rationalem Kalkül. Wer von Kapitalismus und Marktwirtschaft nicht reden will, möge von Globalisierung schweigen.

 

Sendetermin
Sonntag, 17. Mai 2020 - 20:00 bis 22:00
Wiederholung
Freitag, 5. Juni 2020 - 14:00 bis 16:00
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