Bundestagswahl 2017
Bei der Bundestagswahl sind auch 2017 wieder ca. 80000 Menschen nach dem deutschen Bundeswahlgesetz §13 pauschal von der Bundestagswahl ausgeschlossen, weil für sie eine "Betreuung in allen Lebensbereichen" festgelegt wurde.
--- Moderationstext zum Thema "Wahlausschluss von Menschen mit Betreuung in allen Angelenenheiten" zum Nachlesen ---
Beim Ausschluss von Menschen mit einer "Betreuung in allen Angelegenheiten" bei der Bundestagswahl geht es um den Paragraph 13 des Bundeswahlgesetzes, nach dem Menschen mit einer "Betreuung in allen Angelegenheiten" grundsätzlich und pauschal von der Bundestagswahl ausgeschlossen sind.
Das Bundeswahlgesetz geht nämlich davon aus, dass eine "Betreuung in allen Angelegenheiten" nicht notwendig wäre wenn die betreuten Menschen ihre Sachen selbst regeln könnten. Das Gesetz geht weiterhin davon aus, dass Menschen mit einer "Betreuung in allen Angelegenheiten" nicht in der Lage sind den Sinn und Zweck der Bundestagswahl zu verstehen und deshalb auch nicht fähig sind an der Wahl teilnehmen zu können. Das mag für viele dieser Menschen tatsächlich zutreffen, aber sicher nicht für alle. Ein pauschaler Wahlausschluss von Menschen mit einer "Betreuung in allen Angelegenheiten" ist deshalb unserer Meinung nach nicht zulässig.
Es ist nämlich so, dass der Paragraph 1896 im Bürgerlichen Gesetzbuch, der die Voraussetzungen für eine Betreuung regelt, vorschreibt, dass eine Betreuung nur für diejenigen Angelegenheiten festgelegt werden darf, die niemand sonst freiwillig und kostenlos für die zu betreuende Person erledigen kann. Dabei geht es in erster Linie um Kosteneinsparung und nicht um die persönlichen Fähigkeiten des Menschen, der betreut werden soll.
Das bedeutet in der Praxis, dass für einen Menschen, dem von hilfsbereiten Verwandten, Freunden oder Nachbarn geholfen wird, nur eine "Betreuung in bestimmten Angelegenheiten" festgelegt wird, während für den gleichen Menschen, wenn ihm niemand sonst kostenlos hilft, eine "Betreuung in allen Angelegenheiten" festgelegt wird.
Der Unterschied bei der Bundestagswahl ist dass Menschen mit "Betreuung in bestimmten Angelegenheiten" wählen dürfen, während Menschen mit "Betreuung in allen Angelegenheiten" durch das Bundeswahlgesetz von der Bundestagswahl ausgeschlossen sind.
Auf deutsch bedeutet das im Endeffekt: Wer hilfsbereite Freunde hat bekommt eine "Betreuung in bestimmten Angelegenheiten"und darf wählen, wer keine Freunde hat, bekommt eine "Betreuung in allen Angelegenheiten" und darf nicht wählen.
Die automatische Ankopplung des Wahlrechts an den Betreuungsgrad im Bundeswahlgesetz macht keinen Sinn, weil sie vom Kosteneinsparungsgebot des Betreuungsrechts sinnlos gemacht wird.
Der vom Betreuungsrecht unter Kostengesichtspunkten festgelegte Betreuungsgrad spiegelt nicht den tatsächlich insgesamt benötigten Betreuungsbedarf und damit auch nicht die persönlichen Fähigkeiten eines Menschen wieder.
Ganz besonders deutlich wird das bei folgenden zwei Gruppen:
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Auf der einen Seite gibt es Menschen mit "Betreuung in allen Angelegenheiten", die die Bedeutung und Konsequenzen einer Wahl sehr wohl begreifen, die aber aufgrund der Ankopplung des Wahlrechts an die "Betreuung in allen Angelegenheiten" nicht wählen dürfen.
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Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die infolge geistiger oder psychischer Behinderungen (z.B. Alzheimer), nicht in der Lage sind, eigene politische Entscheidungen zu treffen, aber dennoch das Wahlrecht besitzen, weil sie von Angehörigen gepflegt werden und deshalb nur unter Betreuung in bestimmten, aber nicht in allen Angelegenheiten stehen.
In beiden Fällen ist die Ankopplung des Wahlrechts an den Betreuungsgrad offensichtlicher Unsinn.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte bewertet den Wahlrechtsausschluss von Menschen mit "Betreuung in allen Angelegenheiten" als diskriminierend und unverhältnismäßig. Der Ausschluss stehe im Widerspruch zu heutigen menschenrechtlichen Standards sowie zum Grundgesetz, welches im Licht der Behindertenrechtskonvention auszulegen sei.
Der Fachausschuss der UN-Behindertenrechtskonvention empfiehlt Deutschland, "alle Gesetze und sonstigen Vorschriften aufzuheben, durch die Menschen mit Behinderungen das Wahlrecht vorent-halten wird, Barrieren abzubauen und angemessene Unterstützungsmechanismen einzurichten".
Eine Überprüfung der Zulässigkeit des Wahlrechtsausschluss von Menschen mit "Betreuung in allen Angelegenheiten" ist beim Bundesverfassungsgericht bereits beantragt, eine abschliessende Enscheidung steht momentan aber noch aus.