Hip to be Square

Matt Bianco und Paul Young,

Flash & the Pan und die Video Kids,

O.M.D. und E.L.O. ...

Die Musik deiner Jugend war nicht peinlich!

 

 

Warum man sich 25 Jahre später an einer Aufarbeitung der Vergangenheit abarbeitet:

 

Vom Allgemeinen

"Um einstehen zu können für das, was die Erwachsenen sich versagen, dürfen die Kinder nicht selbst schon erwachsen sein. [...] Auch die Erwachsenen dürfen im Namen ihres Selbsterhalts nicht wie Kinder sein. Ihr Verhältnis zur Kindheit ist sentimental, sie betrauern in deren Vergänglichkeit etwas, das sie [...] nie erfahren haben. Glückliche Kindheiten gibt es nur in der Erinnerung, glückliches Erwachsensein nur als kindliche Sehnsucht. Wer noch Kind ist und sich als Kind zu reflektieren beginnt, will so schnell wie möglich raus aus diesem Gefängnis. Wer sich keine Illusionen mehr darüber macht, dass er erwachsen ist, wünscht sich panisch zurück in eine Kindheit, die es nie gegeben hat." (Magnus Klaue)
Michael Koltan, Musiktheoretiker, spricht vom "identitätsstiftenden Gehalt [...], den die Musik seit den fünfziger Jahren vor allem für Jugendliche hat. Die Identifikation mit einem bestimmten Musikstil, insbesondere in der Pubertät, ist ganz wesentlich narzißtisch. Gemeint ist damit, daß die Musik -- [...] das gesamte Ensemble der Klanginszenierung -- nicht als eigenständiges Objekt wahrgenommen wird, dem ein musikhörendes Subjekt gegenübersteht. Vielmehr zieht sich das pubertierende Individuum, unter anderem mit Hilfe der Musik, aus einer als feindlich empfundenen Objektwelt zurück und flüchtet sich in eine eigene Welt, in der keine Brüche zwischen Subjekt und Objekt existieren, sondern unscharfe, symbiotische Verhältnisse vorherrschen.
Derartig pubertärer Narzißmus ist völlig angemessen, schließlich macht das pubertierende Individuum den schmerzlichen Prozeß der Loslösung vom Elternhaus durch. Zwischen die aufzulösenden alten Verhältnisse und den Aufbau neuer, stabiler Objektbeziehungen tritt im Normalfall ein objektloses, narzißtisches Stadium, und genau in diesem narzißtischen Zwischenstadium spielt die Musik eine ganz gewaltige Rolle. Eine analytische Zergliederung der Musik, die diese als eigenständiges Objekt wahrnimmt, würde natürlich die narzißtische Symbiose, die zwischen dem jugendlichen Fan und seiner Musik besteht, in Frage stellen. Und deshalb ist es [...] kein Zufall, daß eine intellektuelle, kritische Distanz, die das musikalische Objekt vergegenständlicht, vom wahren Fan nicht nur nicht betrieben, sondern verachtet bis verabscheut wird."
Später erst "stellt sich jenes Gefühl der Peinlichkeit ein, das [...] mit dem, was man in der Pubertät einmal bedeutsam fand, gerne verknüpft ist". (Lars Quadfasel) "Es ist gerade die zwischen dem Zeitpunkt des Erlebten und dem des Erinnerns gemachte Erfahrung, die überhaupt erst das Erfahrene als Vergangenes habhaft und interpretierbar macht. Das Erinnerte ist niemals das, was es gewesen ist". (Sonja Witte)

 

Vom Speziellen

Jürgen Kiontke schreibt im Rahmen einer Filmrezension von jener "Grunderfahrung eines jeden [...], die der Selbstbewußtwerdung. Und dieser Erkenntnisfortschritt fällt gern in die Zeit der Pubertät, jene Lebensphase, in der nichts mehr stimmt und die mit ihrer charakteristischen Ungewißheit und dem Unwohlsein nicht selten bis ans Lebensende anhält."
Nicht nur zufällig -- biografisch -- paßt die Musik der frühen 80er Jahre unheimlich (und) genau zu einer Tonspur des Erwachsenwerdens: Die Zeit der linksliberalen, vermeintlich unbeschwerten, quietschbunten 70er Jahre und einer Kindheit in ihr war irreversibel vorbei, nicht nur Hippietum war längst tot, sondern auch Punk mittlerweile implodiert. Dessen reifere Folgevariante New Wave weste in den frühen 80er Jahren zusehends, wenn auch arg sublimiert im zeitgenössischen Pop fort und ward darin spätestens 1984 komplett aufgehoben. Aufgehoben, denn die Subkultur kehrte ja derart untot rumorend im Mainstream wieder; Wiederkehr des in der Reagan/Thatcher/Kohl-Ära Verdrängten. Eine Entwicklung, eine Stimmung, die Simon Reynolds ("Rip it up and start again") wesentlich elaborierter beschrieben hat. Postpunk-Katerstimmung in der Hitparade -- ein klasse Soundtrack zum Älterwerden. "Mit der Pubertät fing es an, in mir zu regnen", dichtet King Rocko Schamoni, Jahrgang 1966. Das berüchtigte sogenannte Realitätsprinzip begann sich in Form eines universellen Liebeskummers Bahn zu brechen, eine neue Qualität zu gewinnen.
Umso mehr ist diese Musik ein Faszinosum, als man mit 12 oder 13 freilich noch gar nicht genau wußte, warum sie so gut zutrifft. Und daß es solche Musik nicht schon immer gab -- geschweige denn immer geben würde. Traurige Superhits wie "Fade to grey" (Visage), "Sweet dreams" (Eurythmics), "Anna" (Trio), "Blue monday" (New Order), "25 years" (the Catch) oder "Pale shelter" (Tears For Fears) und unzählige andere, die nichts mit traditionellen Schnulzen gemein haben, passen so recht in keine andere Zeit. Und so sollte man vergleichbare Melancholiekeulen schon in den Mitt- und Spät-80ern vergeblich in den Hitparaden suchen.


Oder, für die aktuelleren Generationen:
"Eine aufgeladene Prepaid-Karte macht noch keinen eingeladenen Freundeskreis." (Die Goldenen Zitronen)

 

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