Nächtens nicht umnachtet: Wolfgang Pohrt (1945–2018)
Wolfgang Pohrt, geboren drei Tage vor Kriegsende 1945, war studierter Sozialwissenschaftler. Das Polemisieren, seine leidenschaftlichste Profession, hat er nicht in den Akademien gelernt.
Selber Zeitgenosse – und als Neomarxist auch irgendwie Mitstreiter – der sogenannten Achtundsechziger-Bewegung, hat sich Pohrt vor allem seit den 80er Jahren immer wieder von (zu Karikaturen geronnenen) "linken" und moralischen Bewegungen distanziert. Notorisch galt er als "umstritten", weil er Resultate kritischen Denkens vor der Dogmatisierung bewahrte, sie immer wieder an der tatsächlichen Gegenwart maß – und auch nicht davor zurückschreckte, Verehrer und Fans in berüchtigten Stellungnahmen regelmäßig vor den Kopf zu stoßen.
So insbesondere "die Antideutschen", als deren geistiger Urahn Pohrt eine Zeitlang galt. Wurde er auf der einen Seite als "antideutscher Turnvater" (Robert Kurz) geschmäht, so propagierte andererseits eine Berliner Splittergruppe namens Antideutsche Kommunisten vor bald zwanzig Jahren "Lest Wolfgang Pohrt!". Und bewies damit, daß Imperative, die doch als solche jeden denkenden Menschen abstoßen müssen ("Hört! Macht! Unterstützt Freies Radio!"), nur von der Form her unerträglich sind – inhaltlich aber durchaus verhandelbar.
Mit zwei Sondersendungen erinnern wir an den streitbaren Kritiker, der am 21. Dezember verstorben ist.
0:00 bis 2:00 Uhr:
Auferstanden aus Ruinen: der Kapitalismus
Zwei Beiträge zum Fortgang auch der siechenden Akkumulation:
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Ein erbaulicher Vortrag von Wolfgang Pohrt zum Komplex "Kapitalismus forever", gehalten im Juni 2012 in Berlin (samt Anmerkungen)
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Rainer Trampert: "Das neue Akkumulationsmodell – Krise und Aufschwung, geopolitische Neuordnung und industrielle Revolution" (2012)
2:00 bis 4:00 Uhr:
Linke Biografien: Vorwärts und schnell vergessen?
„Wer mit 20 kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer mit 30 noch Kommunist ist, hat keinen Verstand.“
(Redensart)
„Wer mit 20 kein Anarchist gewesen ist, aus dem wird nie ein guter Demokrat.“
(Herbert Wehner, zit. nach den Goldenen Zitronen)
Mit Thomas Ebermann und Wolfgang Pohrt reflektieren zwei kluge politische Kommentatoren auf sehr verschiedene Weise ihre "linke Biografie", wie man es so schön phrasenhaft zu nennen gelernt hat. Ebenso klischeehaft, wie man schon seit längerem über "die Zeit der K-Gruppen", die siebziger Jahre, und allgemein "die Achtundsechziger" räsoniert; wobei sich zeigen wird, daß die Vorherrschaft solch bequemer Klischees nur der Unerträglichkeit der bleiernen Gegenwart heute geschuldet ist.
War wirklich alles für die Katz? Beide Autoren lassen jeweils auf ihre Weise erahnen, wie schwer es ist, eine adäquate Sicht zwischen Verklärung und Abrechnung zu finden, zwischen Larmoyanz und Zynismus, zwischen Selbstkritik und Reue, Projektion und Beichte. Und dabei geht es ja gar nicht um die Person und ihre Nabelschau. Oder doch?
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Thomas Ebermann: biografische Reflektionen (Hamburg, April 2012)
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Wolfgang Pohrt: "Gebremster Schaum. Linksradikalismus im Sozialstaat" (Berlin, Sept. 2012) aus dem Buch: Das allerletzte Gefecht
Damit Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, auch nachts geistig nicht unterfordert oder gar umnachtet werden, senden wir hin und wieder eine Querfunk-Themennacht, unter dem Titel NÄCHTENS NICHT UMNACHTET.
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