nächtens nicht umnachtet: WELTKRIEG
Damit Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, auch nachts geistig nicht unterfordert oder gar umnachtet werden, senden wir hin und wieder eine Querfunk-Themennacht, unter dem Titel NÄCHTENS NICHT UMNACHTET.
Heute geht es um die beiden Weltkriege des vergangenen Jahrhunderts.
0:00 bis 2:00 Uhr:
Menschen im Staat, Menschen im Krieg: 1914–1918
"So gehn die Deutschen, die Deutschen gehen so!" hieß vor hundert Jahren: "Jeder Schuß ein Ruß, jeder Stoß ein Franzos, jeder Tritt ein Britt, jeder Klapps ein Japs!" und "Serbien muß sterbien!"
Sachzwang FM findet, daß nationaler Taumel und Erster Weltkrieg noch nicht ins Museum gehören, sondern ins Zentrum ätzendster Kritik – solange der Schoß, aus dem das kroch, noch fruchtbar ist. 2014 sieht ganz anders aus als 1914, farbig und demokratisch, unverkrampft, aufgeklärt und "weltoffen" irgendwie; und doch müssen Menschen arbeiten gehen und das auch noch wollen; sind Menschen stolz auf ihre Nation, wenn sie schon nichts anderes haben; sagen "wir", wenn sie den Staat meinen. Heute sei man ja so viel schlauer als die Vorfahren von vor hundert Jahren, "geläutert" gar? Was für ein Trugschluß, wenn man sich die Gegenwart genau beschaut, wo die Menschen der Gewalt ihrer Gesellschaft ebenso ratlos und ohnmächtig, begriffslos und affirmativ gegenüber stehen wie das geschundene Menschenmaterial von anno dazumal.
Während die Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg (wie zunehmend auch mit dem Zweiten) längst zur unverbindlich-schaurigen Gruselübung in Feuilleton und Gemeinschaftskundeunterricht geworden ist, wird im Politikressort schon wieder Scharfmacherei betrieben: "marode" sei der Zustand der Armee, "nicht einsatzbereit" ihr Fuhrpark, es herrsche ein "Ausrüstungsnotstand"!
Zwei Beiträge, die der zu Schlafwandlerei und diplomatischen Machenschaften verharmlosten Menschenschlachterei des Ersten Weltkriegs zu beklemmender Präsenz verhelfen:
- Jost Hermand spürt der Geschichte chauvinistischer und "imperialistischer Stimmungsmache vor dem Ersten Weltkrieg" nach (Vortrag von 2014)
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Andreas Latzko zeichnet Bilder abgestumpfter, gebrochener und kaputter – "kriegsversehrter" – Menschen ("Der Kamerad", aus dem Buch Menschen im Krieg, 1917)
2:00 bis 4:00 Uhr:
Gesinnungskrieg, Weltordnungskrieg, Vernichtungskrieg:
Das "Unternehmen Barbarossa"
Im Juni 1941 überfiel die deutsche Kriegsmaschinerie die Sowjetunion, was den eigentlichen Beginn des Zweiten Weltkriegs markiert. Der Aggression waren keine politischen oder ökonomischen Forderungen vorausgegangen, kein Ultimatum und keine Kriegserklärung. Zwei Jahre zuvor hatten beide Staaten sogar einen Nichtangriffsvertrag geschlossen. "Angriff", "Überfall", "Aggression", ... Die eingeschliffenen Wörter, die den Kriegsbeginn und das Kriegsgeschehen seither stereotyp beschreiben, versagen vor der Realität einer Barbarei, die qualitativ wie quantitativ kaum vorstellbar ist.
Der Historiker Erich Später hat in seinem Buch Der dritte Weltkrieg dennoch versucht, die Geschehnisse darzustellen. Aus ihm werden Auszüge gelesen, u.a. vom Autor selber.
Geplant wurde der Krieg gegen "slawisches Untermenschentum" und "jüdischen Bolschewismus" als geopolitischer Weltordnungskrieg ebenso wie als paranoid-apokalyptischer Erlösungskrieg; mobilisiert wurde für ihn als hochmoralischen, antikommunistischen wie antisemitischen und rassistischen Gesinnungskrieg; geführt wurde er schließlich als skrupelloser Vernichtungskrieg, eine militärische Raserei sondergleichen.
Stets hatte die deutsche Propaganda gehetzt, "der Jude", der in West- und Mitteleuropa gelernt habe, sich assimiliert und kultiviert zu geben, zeige "im Osten sein wahres Gesicht". Das war ein Glanzstück der pathischen Projektion: Vielmehr offenbarten die Nationalsozialisten selbst, die Deutschland 1941 längst nach ihrem Bilde geformt hatten, in enthemmter Brutalität "im Osten" ihr wahres Gesicht. Der Holocaust, die deutsche Tat schlechthin, geschah nicht anders als im Kontext dieses monströsen Vernichtungskrieges.
Das Resultat waren, nach heutigem Forschungsstand, 27 Millionen Tote auf sowjetischer Seite, davon über die Hälfte ermordete Zivilisten. Kein Land hat mehr im Zweiten Weltkrieg gelitten.
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