Eins teilt sich in zwei: Besiegelung eines Schismas

Jeder kennt die Gretchenfrage "Wie hältst du's mit den Antideutschen?", die auch all jene umtreibt, die doch gar keinen Begriff davon haben, was "die" so denken. Die nicht wissen, daß schon der junge Karl Marx ("Krieg den deutschen Zuständen!") sich an einer Kritik der "deutschen Ideologie" versucht hat; daß schon er "die Emanzipation der Deutschen zu Menschen" im Schilde führte. Pro-westliche, imperialistische Kriegstreiber seien das, islamfeindliche Rassisten, kurz: Kapitalisten- und US-Freunde im linken Gewand ... Was hat es mit denen auf sich?

Schon bald nach der Implosion des Realsozialismus im Osten und der Erosion der Systemkritik im Westen, in den neunziger Jahren, bildet sich langsam eine Variante der Linken heraus, die sich nicht länger auf Bewegungstraditionen beruft, sondern sich in der neuen - internationalen - politischen Konstellation auf die eigentümliche Praxis theoretisch-kritischen Arbeitens zurückgeworfen sieht. Sie findet in den Theorien Freuds und Adornos, aber nach wie vor auch Marxens Bezugspunkte, was sie zunehmend von der alten Linken, von Parteien und "den Massen", von Bewegungen und "Völkern" entfremdet.

Die Fraktion der Antideutschen (die sich mittlerweile nicht mehr derart selbst etikettiert) hält sich für die letzte verbliebene Spielart von Antifaschismus - traditionellere Fraktionen der Linken halten das für einen Spleen und basteln einen Popanz daraus. Nach dem Massaker des 11. September 2001 treibt die Debatte zur Klärung, zur offenen Konfrontation. Die Konfrontation besiegelt die Spaltung, die sich längst abgezeichnet hat.

Im Frühjahr 2002, ein halbes Jahr nach dem blutigen Fanal, treffen im Rahmen eines Freiburger Symposiums zwei exponierte Kritiker aufeinander, die sich bisher in vielem einig wähnten. Entlang der von den Veranstaltern gestellten Frage "Kann es einen Materialismus geben, der nicht antideutsch ist?" prononcieren beide Autoren, die sich erklärtermaßen auf radikale Gesellschaftskritik im Gefolge Marxens verstehen, ihre fundamentalen Differenzen:

  • Ulrich Enderwitz (Berlin) macht seine "Manschetten" geltend, einen wissenschaftlichen Begriff des Antideutschen überhaupt zu akzeptieren, und begründet dies. Er zeichnet den "deutschen Sonderweg" in der staatlichen Forcierung der ökonomischen Entwicklung seit dem 19. Jahrhundert nach.
  • Gerhard Scheit (Wien) weist darauf hin, daß das induktive Verallgemeinern, das ja die Kritik der Ökonomie mit Recht betreibt, in der Analyse und Kritik der politischen Sphäre der Staatstätigkeit auf Kosten der Erkenntnis, auf Kosten der Dialektik nämlich geht. So sei insbesondere kein Begriff der NS-Barbarei als antisemitischer Krisenlösung zu haben.

 

Von Enderwitz sind zum Thema erschienen:

  • "Antisemitismus und Volksstaat. Zur Pathologie kapitalistischer Krisenbewältigung" (1991)
  • "Konsum, Terror und Gesellschaftskritik" (2005)

Von Scheit sind zum Thema erschienen:

  • "Verborgener Staat, lebendiges Geld. Zur Dramaturgie des Antisemitismus" (1999)
  • "Die Meister der Krise. Über den Zusammenhang von Menschenvernichtung und Volkswohlstand" (2001)
  • "Suicide Attack. Zur Kritik der politischen Gewalt" (2004)

 

Sendetermin
Sonntag, 24. Januar 2016 - 20:00 bis 22:00
Wiederholung
Freitag, 29. Januar 2016 - 14:00 bis 16:00
Freitag, 5. Februar 2016 - 14:00 bis 16:00
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