Aufbruch des konformistischen Geistes
Die Verwandlung der Universitäten in Wissensbetriebe zur Produktion ökonomisch verwertbaren Wissens und von “Humankapital” folgt der Geschichte der “Zerstörung der Vernunft” (Lukács) und ist keineswegs ein neues Phänomen.
Neu ist jedoch die neoliberale Form dieses Verfalls der Bildungs-Utopie. Sie wurde nach 1990 eingeleitet im Kontext des europäischen Binnenmarktes und der Gründung der Welthandelsorganisation. Der Start wurde 1999 in Bologna gegeben: Durch die Universitätsreform soll sich Europa in den weltweit größten und dynamischsten wissensgestützten Markt verwandeln.
Die Folgen dieses Reformprozesses sind vielfältig. Ökonomisch nicht verwertbares Wissen, das vor allem in den Geisteswissenschaften erarbeitet wird, wird nicht mehr gebraucht. Die Forschung wird nicht auf Wahrheit, sondern auf ökonomische Werte verpflichtet; die Lehre spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Das Studium gilt nicht mehr der Bildung, sondern reproduzierbarem, verwertbarem Wissen. Überall, zwischen und in den Universitäten, herrscht der Wettbewerb. Jeder kalkuliert und evaluiert jeden und sich selbst, es entsteht ein Wettlauf, um zur Elite zu gehören. Das gelingt nur durch Anpassung an den Zeitgeist. Die neoliberale Universität zerstört die humanistisch-kritische Idee der Bildung und verwandelt Studierende in autoritäre Charaktere.
Das alles geschieht unter der erklärten Zielsetzung, Forschungsleistungen zu steigern und die Lehre effektiver zu gestalten. Die Universität wird reformiert, bis sie – als Utopie und als deren ideologische Erscheinungsform – liquidiert ist. Darum gilt es den “Bologna-Prozess” nicht zu reformieren, sondern theoretisch und praktisch zu kritisieren, also abzuschaffen.
Der Referent Gerhard Stapelfeldt war bis 2009 Professor für Soziologie an der Universität Hamburg und ist u.a. Autor der mehrbändigen Studie “Der Geist des Widerspruchs. Studien zur Dialektik”.