Empowern und canceln – Nimm's persönlich!
Vierzig Jahre Neoliberalismus, Alternativlosigkeit und postmoderne ideologische Lufthoheit an den Akademien haben die Hirne ordentlich weich gekocht, nicht nur in der politischen Mitte und ihrer Rechten, sondern auch in der Linken: Wenn nix mehr geht, geht immer noch Autosuggestion ...
Interessenvertretung schnurrt auf »Sichtbarkeit« zusammen, Politik reduziert sich auf Symbolpolitik, aus Gesellschaftskritik wird Sprachreform, die politische Debatte tendiert zum shitstorm.
Bemerkenswert, daß ausgerechnet Teile der selbsternannten »undogmatischen« Linken sich (Rederecht, Diskursgebaren) derart autoritär aufführen, wie sie es doch – zurecht – immer gern den »Dogmatikern« (und den Rechten ohnehin) vorgeworfen haben. Historische Analyse hätte sie davor bewahren können, in derselben unguten Verquickung aus selbstgerechter Machtpolitik und moralischer Hybris dieselben Fehler zu machen wie einst die Stalinisten.
Eine Farce
Das Problem ist nun, daß die politische Öffentlichkeit diese »Pseudolinke« (Jörg Finkenberger) als originär linke Kraft wahrnimmt – und über solche Optionen ziemlich irre wird, im besinnungslosen Mitmachen (Sprachregelung) ebenso wie im zwanghaften Opponieren (Rechtsruck). Und auf einmal hat man die seltsam invertierte Situation, daß das Pflichtschuldige links konnotiert ist und das Libertäre scheinbar rechts. Früher war das einmal genau umgekehrt.
Im Rahmen einer Veranstaltung des Club Volantaire diskutierten im Herbst 2023 Sinan Kurtulus, Holger Marcks, Till Randolf Amelung, Eszter Kováts, Chantalle El Helou, Jörg Finkenberger, Sebastian Schnelle in Frankfurt über »Die Woken und die Rechten: Zwei Fäuste für die Gegenaufklärung?«
Aus der Ankündigung:
Als dominante Denkform im eher linken Spektrum, die zunächst in linken Nischen keimte und dann alle Mitte-Links-Parteien beeinflußte, trägt jene Identitätspolitik eine Mitverantwortung für die aktuelle Situation: Wäre sie eine effektive Sache gegen Rechtsextremismus, gäbe es den Rechtsruck nicht. Die Frage ist daher vielmehr: Handelt es sich bei den Woken bloß um Akteure, die den Kräften von Rechtsaußen ungewollt in die Hände spielen, um »nützliche Idioten«, wie manche sagen? Oder stehen sie gar für eine Denkform, die regressive Momente mit dem Rechtsextremismus teilt – zum Leid der aufgeklärten, dialogfähigen Teile der Gesellschaft?