Menschen im Staat, Menschen im Krieg
Vor 110 Jahren wurde der Erste Weltkrieg vom Zaun gebrochen
Sachzwang FM findet, daß nationaler Taumel und Krieg noch nicht ins Museum gehören, sondern ins Zentrum ätzendster Kritik -- solange der Schoß, aus dem das kroch, noch fruchtbar ist. 2024 sieht ganz anders aus als 1914, farbig und demokratisch, unverkrampft, aufgeklärt und "weltoffen" irgendwie; und doch müssen Menschen arbeiten gehen und das auch noch wollen; sind Menschen stolz auf ihre Nation, wenn sie schon nichts anderes haben; sagen "wir", wenn sie den Staat meinen. Heute sei man ja so viel schlauer als die Vorfahren von vor 110 Jahren, "geläutert" gar? Was für ein Trugschluß, wenn man sich die Gegenwart genau beschaut, wo die Menschen der Gewalt ihrer Gesellschaft ebenso ratlos und ohnmächtig, begriffslos und affirmativ gegenüber stehen wie das geschundene Menschenmaterial von anno dazumal.
Während die Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg (wie zunehmend auch mit dem Zweiten) längst zur unverbindlich-schaurigen Gruselübung in Feuilleton und Schulunterricht geworden ist, wird im Politikressort längst wieder Scharfmacherei betrieben: "marode" sei der Zustand der Armee, "nicht einsatzbereit" ihr Fuhrpark, es herrsche ein "Ausrüstungsnotstand"! Zwischendurch wurde mal eben die Fantasiesumme von 100.000.000.000€ für das deutsche Militär locker gemacht. Wohnungsbau ist offenbar Privatsache und eher optional. Beliebtester Politiker in Deutschland ist jemand, der schamlos fordert, das Land müsse wieder "kriegstüchtig" werden; "verteidigungsbereit" genügt offenbar nicht?
Sachzwang FM möchte heute der zu Schlafwandlerei und diplomatischen Machenschaften verharmlosten Menschenschlachterei des Ersten Weltkriegs zu beklemmender Präsenz verhelfen:
- Jost Hermand spürt der Geschichte chauvinistischer und "imperialistischer Stimmungsmache vor dem Ersten Weltkrieg" nach (Vortrag von 2014)
- Andreas Latzko zeichnet Bilder abgestumpfter, gebrochener und kaputter -- "kriegsversehrter" -- Menschen (aus einem Buch von 1917)
Gute Unterhaltung und unerbauliche Verstörung bei dieser Übung in Wehrkraftzersetzung wünscht die Redaktion.