„Mach was aus dir! ... Aber: Tu es für dich!“
Die Arbeit am Selbst im Zeitalter des Neoliberalismus
Daß, wer andere begehrt, auch selbst begehrenswert erscheinen möchte, ist ja erstmal wenig überraschend und damit banal. Doch wohin steuert eine Welt, in der das Mittel zum Selbstzweck geworden ist?
Früher gingen Menschen spazieren (das rüstige Wandern war schon immer besonders deutsch). Heute sieht man im öffentlichen Raum beinahe genauso viele Leute joggen wie Fußgänger; der gemächliche Flaneur ist ohnehin ein Auslaufmodell, so scheint es. Alle haben ein Ziel und wollen es erreichen. Wer heutzutage bspw. ein Fahrrad kaufen möchte, wird nicht fündig, solange er ein Fortbewegungsmittel sucht, sondern muß im Kaufhaus die Sport-Abteilung aufsuchen. Also doch kein Ziel, „der Weg ist das Ziel“? Ja, und zwar im Hamsterrad einer Marktwirtschaft, die die Menschen zu Objekten des Arbeitsmarktes geformt hat. Und sie sind dies scheinbar gerne, spätestens seitdem vor dreißig Jahren das „Ende der Geschichte“ ausgerufen wurde.
Die geistferne Ära der neoliberalen Ideologie findet in der funktionalen Zurichtung der Subjekte ihren ultimativen Ausdruck, nicht zuletzt in so manchen Spielarten des Sports: Ist schon ein Marathonlauf etwas, worauf vor der Durchsetzung des Kapitalismus kein Mensch freiwillig gekommen wäre, so wird die sportliche Konditionierung und Selbstkonditionierung zur Karikatur in Disziplinen wie dem Triathlon, ein Wettkampf, der nicht umsonst imzuge des Triumphs des Neoliberalismus populär wurde.
Allein die ironiefreien Namen der Wettbewerbe sprechen Bände: IronMan, Sachsenman, … Womit wir beim zweiten Thema des Abends wären: Der infantilen Tendenz der heutigen Gesellschaft.
Im Mai 2021 diskutierten im Rahmen der Berliner Veranstaltungsreihe gegen//über – Debatten zur Gegenwart
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Elke Wittich und Lars Quadfasel über
„Das Fitneßstudio als verlängerte Werkbank“ -
Georg Seeßlen und Christine Kirchhoff über
„Infantilisierung in der Wohlstandsgesellschaft“
„Frustrationstoleranz, Ich-Stärke und Bedürfnisaufschub als Qualitäten des Erwachsenseins haben keine Konjunktur. Ein infantiles Ethos prägt die kapitalistische Alltagskultur und den Weltzugang der Einzelnen. Während sich der Konsum zwischen Servicementalität, Click-and-Buy und der Vorspiegelung des Besonderen narzißtisch-regressiv entgrenzt, stoßen Mitteilungs- und Bestätigungsdrang auf rasche Befriedigung in der digitalen Sphäre, wo Gleichgesinntheit und Nachplappern ununterscheidbar werden. Multitasking ist, wenn Zerstreuung Auseinandersetzung ablöst; Generationendialog ist, wenn auch Opa gerne Playstation zockt und Oma spontan für den Halbmarathon trainiert. Oder sind das bloß kulturpessimistische Zerrbilder? Wir nähern uns ihnen von kulturkritischer wie psychoanalytischer Perspektive und wagen einen Ausblick in die Zukunft.“
„Fitneß ist ein wachsender Markt. Immer mehr Menschen trainieren, um sich für den Job fit zu halten: die Freizeit wird zunehmend selbst zu einer Form von Arbeit. Dabei trifft die Lust, etwas für sich und seine Gesundheit zu tun, in der Praxis der Selbstoptimierung auf den gesellschaftlichen Imperativ zur Leistungserbringung. Was entspricht noch dem eigenen Bedürfnis, und wo arbeitet man bereits eine gesellschaftliche Verwertungslogik ab? Läßt sich dieser Unterschied überhaupt noch festmachen?“