Zeit der Revolutionen
Zur Aktualität eines Anachronismus
Die Zeit der "Revolutionen" scheint seit langem vorüber, ihre Vorstellungswelt als Illusion erwiesen zu sein. Oder wer könnte noch dem Glauben nachhängen, ein fundamentaler Umsturz werde die gesellschaftlichen Verhältnisse grundsätzlich neu strukturieren, ihre Geschichte auf neue und vor allem "menschliche" Grundlagen stellen können? All diese Begriffe – die des Fundaments, des Umsturzes, der Struktur, der Geschichte, "des" Menschen oder der Grundlagen selbst – sind ebenso fragwürdig geworden wie das, was sie einst bezeichnen sollten. Die Wirklichkeit selbst scheint einem Denken der "Revolutionen" jede Evidenz oder Plausibilität entzogen zu haben. Anlaß zur Beruhigung gibt das freilich nicht; im Gegenteil. Diese Wirklichkeit selbst ist nur noch eine der Frakturen, der Unterbrechungen, der Abgründe und Implosionen: ökonomisch, militärisch, sozial und geostrategisch. Solche Zerrissenheiten rücken nichts so sehr in den Vordergrund wie eine "Aktualität der Revolutionen". Sie generieren Geschichtszeichen ihrer Unaufhaltsamkeit und Unaufschiebbarkeit. Bekannte Ordnungen zerfallen täglich vor unseren Augen. Schreiende Gegensätze brechen hervor, die in keinem Zeitkontinuum, in keiner homogenen Topografie mehr zu schlichten sein werden. Grund genug, nach der "Revolution" als einem Problemtitel zu fragen – zu fern, um gegenwärtig, und zu nah, um erkennbar zu sein. Umso mehr aber insistiert er, ungedacht.
An dieser Sendung haben mitgewirkt:
Marisa Calcagno, Lidija Jessel, Hans-Joachim Lenger, Jean-Luc Nancy, Benjamin Sprick, Harald Strauß, Mareike Teigeler, Georg Christoph Tholen, David Wallraf