nächtens nicht umnachtet: 70 Jahre VR China. Eine Bilanz

"Wir sind alle überzeugt, daß diese unsere Arbeit in die Geschichte der Menschheit eingehen wird, und sie wird zeigen: Die Chinesen, die ein Viertel der Menschheit bilden, sind nunmehr aufgestanden. [...]
Unsere Nation wird sich nun in die Gemeinschaft der Frieden und Freiheit liebenden Nationen der Welt einreihen, wird mutig und fleißig arbeiten, sich ihre eigene Zivilisation und ihr eigenes Glück schaffen und zugleich Frieden und Freiheit in der Welt fördern. Unsere Nation wird niemals mehr eine Nation sein, die sich beleidigen und demütigen läßt. Wir sind aufgestanden. [...] Überall in der Welt haben wir Freunde."  (1949)

 

Nach Jahrzehnten blutiger japanischer Besatzung und eines nicht enden wollenden Bürgerkriegs proklamierte die chinesische Revolution am 1. Oktober 1949 die Gründung der Volksrepublik China. Die im Bürgerkrieg unterlegenen Nationalisten errichteten auf der Insel Formosa (Taiwan) die "Republik China".
Nachdem anfänglich der von Mao Zedong ausgerufene Staat – in bemerkenswertem Kontrast zum bürokratisch erstarrten (Post-)Stalinismus der UdSSR – internationale Sympathien vor allem unter Intellektuellen genoß (so erfreute sich der chinesische Kommunismus insbesondere um 1968 einer kultischen Beliebtheit bei europäischen Studenten und afroamerikanischen Bürgerrechtsaktivisten), integrierte sich das bevölkerungsreichste Land der Erde seit den achtziger Jahren schrittweise in den kapitalistischen Weltmarkt.
Unbestreitbar hielt in den vergangenen vierzig Jahren ein im Land bislang nicht gekannter Wohlstand Einzug – aber auch ein verschärfter Konkurrenzkampf, der mit Kommunismus oder auch nur Realsozialismus nicht mehr viel zu tun hat. Der ökonomische und schließlich geopolitische Aufstieg Chinas flößt Respekt ein, vielen macht er regelrecht Angst. Der marktwirtschaftliche Krypto-Realsozialismus der Volksrepublik ist offenbar ein Erfolgsmodell, er gebärdet sich so autoritär wie wendig, so modern wie effizient. Ironischerweise wird heute der VR China und ihrer Staatspartei, der KPCh, ausgerechnet von westlichen Rivalen (deren Kolonialpolitik das Massenelend des 19. und 20. Jahrhunderts maßgeblich zu verantworten hat) "Manchesterkapitalismus" vorgeworfen.
Ein neuer Kalter Krieg zwischen den Großmächten des 21. Jahrhunderts bahnt sich längst an, vorläufig grassierend als Handelskonflikt. Ebenfalls Ironie der Geschichte, nimmt dabei das ehemals protektionistische Rotchina die Rolle des Freihandelsadvokaten an – und die ehemaligen Ideologen des Freihandels (USA der Ära Trump) die Rolle des krisengeschüttelten Isolationismus.
Die Volksrepublik China ist nun so alt wie die Sowjetunion, als diese 1992 aufhörte zu existieren, und offenkundig weit davon entfernt, vom Parkett der Geschichte abzutreten.

Hören Sie von 0:00 bis 2:00 Uhr
den Mitschnitt einer Podiumsdiskussion zum Thema VR China. Die Kontroverse führten die Politologin Renate Dillmann, der Sinologe Helmut Peters und Rolf Berthold, letzter Botschafter der DDR in Peking.

Und von 2:00 bis 4:00 Uhr
ähnlich, aber ausführlicher, einen Vortrag von Renate Dillmann über die VR China; "ein Lehrstück über alten und neuen Imperialismus, einen sozialistischen Gegenentwurf und seine Fehler, die Geburt einer kapitalistischen Gesellschaft und den Aufstieg einer neuen Großmacht"

 

 

Damit Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, auch nachts geistig nicht unterfordert oder gar umnachtet werden, senden wir hin und wieder eine Querfunk-Themennacht, unter dem Titel NÄCHTENS NICHT UMNACHTET.

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Sendetermin
Samstag, 21. September 2019 - 23:59 bis Sonntag, 22. September 2019 - 4:00
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