Muß ich das? Darf der das?
Von Flüchtlingen und Fahrverboten – Der Modalverbenzirkus deutscher Bürger (egal ob Bundes-, Wut- oder Reichs-)
Ein Kommentar der Redaktion Sachzwang FM
Wer regelmäßig die öffentliche Debatte, sprich Medien verfolgt, dem werden möglicherweise ein paar aufschlußreiche Details an Formulierungen aufgefallen sein, über die zu reflektieren es sich lohnt. So kreisen seit Monaten erhitzte Diskussionen um die offenbar essentielle Frage, ob „Fahrverbote verhängt werden dürfen“. Dürfen? Es ist doch eher so, daß Fahrverbote verhängt werden sollten, also müssen, wenn durch abgasintensive Autos bestimmte Grenzwerte für Schadstoffe überschritten werden. Die Gerichte und den Volkszorn bewegt jedoch wie gesagt die Frage, ob „Fahrverbote verhängt werden dürfen“. In dieser Konstellation, in diesem phantasmatischen Setting steht der rechtslibertäre Wutbürger mit seinem Diesel-SUV („Freie Fahrt für freie Bürger!“) hier, und dort ein böswilliger, natürlich „links-grün versiffter“ Gängelungsstaat, einer von „Volksverrätern“ nämlich.
Der Verkehrsminister höchstselbst, CSU-Scheuer, hat sich mit Verve in die Diskussion eingeschaltet und poltert gegen jahrelang etablierte Schadstoff-Grenzwerte, als seien diese ausgeheckt worden, um unbescholtene Bürger zu schikanieren. Scheuer, bei dem man sich fragt, woher sein sprechender Name stammt, ist immerhin vom Erscheinungsbild her ein Sympath, immerhin hat er keine Soldatenfrisur wie Spahn oder Tauber.
Während alle, oder sagen wir konformistischerweise doch gleich: Während Deutschland sich fragt, ob Fahrverbote verhängt werden „dürfen“, bewegt seit Jahren denselben Volkszorn und auch so manche Nachrichtensendung die Frage, wie viele Flüchtlinge dieses oder jenes Land aufnehmen „muß“. Noch zu Zeiten, als die sogenannte Willkommenskultur noch beteuerte, jeder Flüchtling, pardon: Geflüchtete sei doch ein Mensch, ergo „eine Bereicherung“, war zu vernehmen, daß doch die „Flüchtlingslast“ gerecht zu verteilen sei in Europa. Jeder Flüchtling sei also doch irgendwie eine Belastung und nicht Bereicherung. Nun waren das selbstverständlich nicht dieselben, die da etwas eine Last nannten, was andere als Bereicherung empfanden. Dennoch waren in derselben Öffentlichkeit schnell beide Sprachregelungen etabliert – und man konnte daher schon Wetten abschließen, daß die „Willkommenskultur“ nur ein temporäres propagandistisches Zwischenspiel bleiben sollte, bevor eine nicht minder propagandistische, mal latente, mal sich manifest austobende Fremdenfeindlichkeit die Oberhand gewinnen würde.
Wie auch immer, bemerkenswert ist die Sprach- und Denkregelung, daß Flüchtlinge etwas seien, das man aufnehmen müsse oder nicht; und daß Fahrverbote etwas seien, das doch nicht verhängt werden dürfe, weil sie das deutsche Menschenrecht auf Luftverschmutzung verletzen.
Muß ich das? Darf der das? Der Modalverbenwahnsinn könnte einem von anderswo bekannt vorkommen, es ist der Denk- und Argumentationshorizont von Staatsbürgern, insbesondere von deren Musterexemplaren, den Beamten (bspw. Lehrern). Um homöopathische Mehrarbeitsquanta wird erbittert gefeilscht, während doch der generelle Arbeits- und Loyalitätswahn, die gesellschaftliche Determinierung mitnichten kritisiert werden. Schließlich hat man (wie noch im Feudalismus) einen „Dienstherrn“, auf den man nichts kommen läßt. Dem man ja auch auf Gedeih und Verderb unterstellt ist: Wes Brot ich eß, des Lied ich sing. Und natürlich ist es kein Zufall, daß jenes Machwerk – heute würde man es ein „Gesetzespaket“ nennen –, das 1933 die Entfernung der Juden aus dem öffentlichen Dienst zum Inhalt hatte, den treffenden Namen „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ trug.
Im außerstaatlichen Bereich, in der Privatwirtschaft – oder zumindest ihrem Selbstbild – zielen vernünftigere Kategorien des Könnens und Wollens auf Mündigkeit ab, während administratives Müssen und Dürfen den ewigen Denkhorizont des staatlich-juristisch bandagierten Mündels markieren.