"Wer Selbstverständliches betont, macht sich verdächtig" – Schirach und die Büchse der Pandora

Die ARD diskutiert das Foltertabu

Der berüchtigte Klang des Namens Schirach, pardon: Von Schirach wird derzeit im öffentlichen Bewußtsein korrigiert. War bekanntlich Baldur von Schirach der faschistische Führer der Hitlerjugend, so ist sein Enkel offenbar schwer bemüht, den Makel von seinem gesalbten Adelsnamen reinzuwaschen. Nicht, daß ich hier für ewige Verdammnis eines Namens, eine Art Sippenhaftung oder Stigma, plädieren würde – aber die hochmoralische Weißwaschaktion ist doch allzu offensichtlich. Doch worum geht es eigentlich?
Daß der Ferdinand genau so gut ist wie der Baldur böse, das haben wir schon einmal lernen müssen, und zwar vor vier Jahren, anno 2016: Vielleicht erinnert sich noch der eine oder andere an das Fernsehspiel "Terror", in dem der Abschuß eines entführten Passagierflugzeugs durch einen so hochmoralisch-strebsamen wie anpackenden Zinnsoldaten im Rahmen eines fiktiven Gerichtsprozesses diskutiert wurde. Nicht ohne nachher das geneigte Fernsehpublikum zu befragen und das ganze noch durch den Talkshow-Fleischwolf zu drehen. Und natürlich konnte es in solchen ideologischen Untiefen keinen besseren Diskussionsmoderator geben als die Talkmaster-Variante des unbescholtenen kleinen Mannes oder vielmehr dessen leutseligen Anwalt: Frank Plasberg verkörperte die verfolgende Unschuld mit seinem naiven Manwirddochnochfragendürfen aufs beste; dem Altliberalen Gerhart Baum war die einsame Rolle des geschichtsbewußten mahnenden Zeigefingers vorbehalten, derart dünn war die Vernunft in dieser neudeutschen Debatte gesät.
Damals die offensive Antiterror-Militäraktion, neulich erst die brisante Frage nach aktiver Sterbehilfe, nun der ultimative Kick: Wir diskutieren das Folterverbot! Eine super Einschaltquote ist dem Volkspädagogen Schirach auch diesmal sicher. Daß das schon im Vorfeld penetrant beworbene TV-Event diesmal nicht nur in im Ersten Programm der ARD zur sonntäglichen prime time läuft, sondern zusätzlich auch noch auf allen dritten Programmen, also sämtlichen Landessendern wie NDR, MDR, WDR, SWR usw. zeitgleich ausgestrahlt wird, soll das ganze wohl in den Rang einer Haupt- und Staatsaktion erheben.


Hier bekommt das Wort Gleichschaltung einen ganz neuen Sinn. Und als wäre dies noch nicht genug der Penetranz, so muß dem Machwerk auch noch im Stile von "Bram Stoker's Dracula", "Mary Shelley's Frankenstein", "Fellinis Roma", "Mankells Wallander" oder "Alfred Hitchcock: Die drei ???" der Name des Meisterdramaturgen vorangestellt werden, "Ferdinand von Schirach: Feinde". Man hat es also mit einer regelrechten Schiracheritis zu tun.

Und selbst, wenn der vorgebliche Sinn des ganzen nur darin bestanden haben sollte, das Folter-Tabu argumentativ zu unterfüttern und einmal mehr – bei Schirach scheint sich das zu einer Obsession auszuwachsen – eine Lektion in moralischer Staatsbürgerkunde zu erteilen, so wird hier doch, ohne Not, eine indiskutable Sache diskutabel gemacht. Nämlich das staatliche Gewaltmonopol der doch defensiv gedachten Gewalt von Polizei und Armee auf Modi des selbsttätigen und übergriffigen Quälens auszudehnen. Selbst, wenn dies also ein Lehrstück gegen die Folter sein sollte, eine öffentliche Diskussion kann hier nur nach hinten losgehen; und dies selbst dann, wenn, wie zu hoffen bleibt, eine breite gesellschaftliche Mehrheit (noch) das Tabu stützt. Denn die Büchse der Pandora ist dann bereits geöffnet: Wird erst einmal "Folter – pro und contra" diskutiert – und die Befürworter werden sich gewiß nicht als Fans des autoritären Staats outen, sondern als Freunde und Helfer eines schutzlosen entführten Kindes in Szene werfen –, so ist auf einmal die Befürwortung staatlicher Folter kein Tabu mehr, sondern eine gleichberechtigte, wenn auch vorerst minoritäre Meinung unter anderen.
War es, vor zwanzig Jahren, Jörg Haider oder Frank Steffel oder Thilo Sarrazin, der in einer Talkshow bei Friedman voller Stolz sagte, zu seinem Freundeskreis zählten auch Ausländer? "Wer Selbstverständliches betont, macht sich verdächtig", war die einzig angemessene und überaus treffende Reaktion Michel Friedmans. Und dies ist auch einem von Schirach zu entgegnen, wenn die Diskussion der Folter dem Tabu der Folter dienen sollte: Wer Selbstverständliches betont, macht sich verdächtig.

Und ist erstmal eine, wenn auch nur unter höchstem Vorbehalt regulierte und kodifizierte Form der polizeilichen Folter etabliert, so wird man sich nicht wundern müssen, welcherart Personal eine solche Institution dann magnetisch anziehen wird. Nein, der typische Sadist, der unsympathische Scherge und Menschenschinder, den gibt es doch nur als Nazi oder im Trash-Film, jedenfalls als Klischee. Wenn tatsächlich hier und heute "ausgeweitete Verhörmethoden" zur Anwendung kommen sollten, dann werden das ums Kindeswohl besorgte Ermittler gewesen sein! Gefoltert haben werden also Menschenfreunde.

 

Ein Kommentar der Redaktion Sachzwang FM