Unterkomplexe Mimik, autoritäres Genöle

Ein Lehrstück in Sozialdemokratie

Sicher hat sich der eine oder andere gefreut, daß endlich mal eine Frau Vorsitzende einer großen Volkspartei geworden ist. Nein, es ist nicht die Rede von Merkel und der CDU, sondern stolze 18 Jahre später hat es sogar auch die linkere der beiden deutschen Großparteien, die SPD, geschafft, den abgewirtschafteten Verein einer weiblichen Chefin zu überantworten.
Nein, es geht um Andrea Nahles. Wer über 40 ist, erinnert sich vielleicht noch an Zeiten, in denen sie Bundesvorsitzende der Jusos ("Jungsozialisten") war. Die Nachwuchsorganisation der SPD galt und gilt ja traditionell als links, linker als die verhinderte Staatspartei allemal. Lustigerweise wird Nahles daher noch immer als "Parteilinke" gehandelt, die Medien entblöden sich nicht, das immer wieder zu kolportieren.² Aber wahrscheinlich mangelt es Journalisten bloß an politischer Bildung, und sie verwechseln Großmäuligkeit mit linker Gesinnung. (Wie so viele, die sich für "links" halten, höchstselbst.)

Es muß die ihr eigene saturierte Selbstgerechtigkeit sein, die Nahles seit jeher mit ihrem - auch ohne Anlaß - feisten Grinsen ausstrahlt, ein regelrecht anti-intellektueller Miss Piggy appeal, der sie letztendlich an die Spitze des sich weiter populisierenden Politgeschäfts katapultiert hat: "Schaut her, ich hab's geschafft." Sicher ist es nicht genuin deutsch, sondern nur provinziell, die "Herkunft aus einfachen Verhältnissen" mit zur Schau gestellter Einfältigkeit noch karikieren zu müssen. Nahles, quasi die weibliche Variante des Jürgen von der Lippe, müßte ihr so penetrantes wie uncharmantes Dauergrinsen eigentlich längst den Kodenamen Honigkuchen eingebracht haben.
Bisheriger Höhepunkt von Nahles' notorischer Lust am Pöbeln war die feixende Ankündigung, "ab morgen" würde die neue Bundesregierung "in die Fresse" bekommen. Freilich war das nicht die amtierende Regierung (unter Nahles' Beteiligung), sondern Anfang 2018 die verhinderte Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen.

In diesen Tagen nun hat die visionäre Vorsitzende ihr rhetorisches Meisterwerk vollbracht. Es geht um die groß inszenierte Kontroverse in der "Flüchtlingspolitik", zwischen der vorgeblich humanitär-bürgerlichen Linie Merkels (CDU), und dem alle Stammtische befriedigenden Gepolter des Heimat- und Innenministers (CSU, mit bundesweit ehrfurchtgebietenden 6,2%). Die bayerische "Schwesterpartei" CSU, de facto der koalitionäre Arm der AfD, verwahrt sich dagegen, als das bezeichnet zu werden, was sie ist: eine ranzige Provinzpartei im Wahlkampf. In der Rolle des Volkstribuns und rechten Rebellen mit "Regierungsverantwortung": der 1-Meter-94-Mann, für den Charisma Zeitlupe und Steifheit bedeutet: Horst Seehofer.³ Das Argwöhnen, die CSU befinde sich im Wahlkampfmodus statt brav Regierungseintracht zu zelebrieren, setzt immerhin als selbstverständlich voraus, daß rechte Agitation sich automatisch in Wählerstimmen niederschlage. Passend dazu frohlockt die AfD, ihr Oppositionsprogramm ("Wir werden sie jagen") gehe auf, nun erlebe man live, wie es sei, die Regierung vor sich her zu treiben. Komischerweise kann und tut das die linke Opposition nicht. Niemand scheint sich aber zu fragen, warum das so ist und ob das überhaupt notwendigerweise so ist. Was kann jemand, der dieses Gebaren vorgeblich kritisiert, überhaupt alternativ anbieten, wenn er vom Erfolg populistischer Hetze zutiefst überzeugt ist?

Da steht also rechts-demagogische Innenministerei gegen eine bürgerliche "Politik der Mitte". Und was fällt der bauernschlauen SPD-Strategin Nahles darauf ein? Die Kritik der "Parteilinken", vielmehr Nahles' Genöle, geht so: Durch die CDU/CSU-Querelen werde dem "Ansehen der Politik", gar der Reputation Deutschlands geschadet (und nicht etwa den Interessen der Flüchtlinge). CDU und CSU sollten sich endlich aufraffen, zusammenraufen und nicht kleinmütig zanken. Was bietet denn Politik da wieder für ein Bild?
Wahrlich, eine gewiefte linke Kritik!

Wie schon vor Jahren in Franz Müntefehring, kommt einmal mehr in Andrea Nahles, wie in einem Brennglas, die Sozialdemokratie zu sich:
Schon immer konnte man jede Wette eingehen, daß, wenn die SPD Kritik an einer deutschen Regierung übt, nicht ein inhaltlich bestimmtes, womöglich fortschrittliches Programm eingeklagt, sondern gebetsmühlenartig immer bloß "Führungsstärke", Disziplin und "Geschlossenheit" angemahnt oder "Staatsversagen" bejammert wird. Schlimm an konservativen Regierenden soll also sein, wenn sie auf dem Schlauch stehen und nicht regieren?! Was ist denn das für ein politischer Gegner, von dem man sich wünscht, daß er doch bloß endlich regieren möge? Und so sagt dies mehr über den aus, der es von sich gibt, als über den Adressaten. Das ist Markenkern sozialdemokratischer Politik - und offenbar (sonst wäre das SPD-Gebaren dysfunktional) der einzig erfolgversprechende Modus politischer Meinungsbildung in Deutschland: autoritäres Heranwanzen. Jede Partei hat das Personal, das sie verdient. Und die Wähler, die sie verdient.

 

Ein Kommentar der Redaktion Sachzwang FM.

 

 

²) Ex-Juso-Chef, war das nicht Gerhard Schröder, Stammvater von Hartz IV, auch? Kapitalismuskritiker a.D., vor 20 Jahren Bundeskanzler mit Außenminister Fischer, seinerseits Ex-Steinewerfer. Nach welcher obskuren Naturnotwendigkeit müssen sie alle zu Kanaillen werden?

³) Das Schlimme ist, daß - formaljuristisch gesehen - Seehofer sogar in der Sache recht hat: Seit 1993 wird das "Grundrecht auf Asyl" in Deutschland bis zur Unkenntlichkeit eingeschränkt durch die kommode Regelung, auf dieses Recht könne "sich nicht berufen, wer aus einem [... sogenannten sicheren] Drittstaat" in die Bundesrepublik einreist. Der Clou ist der: Die Nachbarstaaten Deutschlands gelten ausnahmslos als "Rechtsstaaten", somit könne in ihnen ja niemand ernsthaft politische Verfolgung leiden. Nun kann man sich aber unschwer vorstellen, daß ein jeder Staat sich mit seinen unmittelbaren Nachbarn in gleicher Weise gutstellt - sodaß am Ende jedes Land am Anfang der jeweiligen Odyssee, die Asylsuchende durchmachen, als zumutbarer Ort für die gebeutelten Menschen gelten wird. Ein solches "Asylrecht", das letztlich in einer Kettenabschiebung münden muß, ist natürlich eine Farce.
 

 

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