Staunen lernen mit LA LUZ ... live im Kohi

EIN KONZERTBERICHT der Redaktion Hörsturz

Als wolle man alle Menschen mit erlesenem Musikgeschmack foppen, hatte man es fertiggebracht, die zwei besten Konzerte des Jahres in Karlsruhe ausgerechnet auf denselben Termin zu legen. Für den 10. September war nicht nur der große Jeffrey Lewis im Klub P8 angekündigt, sondern im Kulturraum Kohi sollte zudem die Band La Luz spielen,² man hatte also die sprichwörtliche Qual der Wahl. Weil der New Yorker Antifolk-Gigant vor ein paar Jahren schonmal in der Halle14 (quasi dem Vorgänger des P8) gastiert hatte, entschied ich mich für die vierköpfige Twang-Combo aus Seattle. Schließlich hatte ich den stimmungsgetragenen Surfrock von La Luz bereits in diversen Querfunk-Sendungen (Get Hypnotized; Bored Generation; My Record Machine; Boogie Mash) kennen und lieben gelernt. La Luz spielen schon auf Platte einen eher entspannten, nur durch gelegentliches Aufwallen durchsetzten Twang, und das nicht weniger stilsicher als z.B. die ebenfalls US-amerikanischen Allah Las. Und so steht der Name La Luz für eine der schönsten Musiken, die heutzutage an den sechziger Jahren orientiert sind. Sehr souverän und stimmig - um nicht zu sagen: überwältigend - mischen sie den instrumentalen Twang (vulgo: "Surf") der frühen Sechziger mit der polyphonen Psychedelia der späten Sechziger. Als wenn also Nancy Sinatra die Musik der Ventures veredelte ... oder so. Daß dies in gleicher ästhetischer Qualität auch live überzeugen würde, war alles andere als ausgemacht; das weiß jeder, der schon mehr als einmal arge Diskrepanzen zwischen Konserven- und Konzertdarbietung erlebt hat.

Was soll ich sagen? Es war, ohne Umschweife, eines der besten Konzerte der letzten Jahre. Nicht nur kippte die tiefe Melancholie der Musik zu keinem Zeitpunkt ins Platte, Peinliche, Unglaubwürdige oder Klischeehafte (was vielleicht bei diesem Genre zu befürchten gewesen wäre),³ sondern die erfrischend unprätentiöse Art der Musikerinnen konnte auf ganzer Linie überzeugen. Zu jeder der vier schossen mir krude Assoziationen in den benebelten Kopf: Gitarristin und Leadsängerin Shana Cleveland zupfte eine ergreifende Twang-Gitarre - so hart wie nötig, so hallgeschwängert wie möglich - und erinnerte entfernt an die Trashfilm-Diva Chelo Alonso, die ihre Cinecitta-Erfolge feierte, als die musikalischen Vorbilder von La Luz umtriebig waren. Alice Sandahl ließ die unverzichtbare Sixties-Quietschorgel glucksen, die im Kontext natürlich Farfisa, Vox oder Hammond heißen muß, doch Sandahls Erscheinungsbild hätte sie auch in einen, sagen wir: 1982er Pop-Kontext versetzen können (und das "organ" hätte dann "keyboard" geheißen). Die Physiognomie der Bassistin Lena Simon ist nach Jugendstil-Art geschnitten, wie um die überwältigende Melancholie der moody Twangmusik noch visuell zu unterstreichen. Drummerin Marian Li Pino schließlich erinnerte mich zu allem Überfluß an den jungen Dave Grohl (of Nirvana fame), so sympathisch fielen die langen braunen Haare ins schlanke Gesicht; und hätte es die Füße nicht zum Bearbeiten diverser Schlagzeug-Pedale gebraucht, ich hätte gewettet, den Unterleib der Nymphe ziere, statt Beinen, eine riesige, wendige Flosse (womit sich einmal mehr ein mysteriöser Jugendstil-Bezug aufdrängte) ...

Im übrigen war jeweils völlig unerheblich, welche der vier da nun in delikater Kombination ihre Stimmen erklingen ließen, es war durchweg ein polyphon-psychedelischer Hochgenuß. Obwohl hier gesungen wurde, war das Instrumentalmusik, menschliche Stimmen als ein Instrument unter anderen integral eingesetzt, nie aufdringlich im Vordergrund, nie narrativ-verquasselt. Musik, die ihren Namen verdient: Musik, die Wissenschaft (oder Leidenschaft) der Musen. Das Bemerkenswerteste aber ist, in welch austarierter Sanftheit und gegenseitiger harmonischer Kohärenz dieser mehrstimmige Gesang durch die heilige Hallkammer des Kohi schallte. "Betörend" ist gar kein hinreichendes Wort dafür, wie intensiv hier empfänglichen Konzertgängern eine veritable Dauergänsehaut beschert wurde, stellenweise von allen vier Stimmen. Das war nie kitschig und selten zuckersüß, allermeistens doch in der Ambivalenz des Bittersüßen sich verzehrend. Mit diesen Qualitäten bestach nicht nur die Performance, das schiere - so anmutige wie subtile - Songwriting von La Luz läßt viele alt aussehen. Wie wenig es La Luz nötig hatten, mit Versionen guter (aber darüber kanonisierter und hinlänglich bekannter) Twang-Standards aufzuwarten, ist durchaus ungewöhnlich in der Surf/Twang-Szene. Ein Bonmot des Hörsturz-Sekretariats besagt ja, daß die Twang-Szene diejenige ist, wo es - umgekehrt als überall sonst - mehr Bands als Stücke gibt.

 

 

²) Daß das sympathische Kohi ein gutes Händchen für sogenannte girl groups hat, hatte sich zuletzt im Januar 2017 erwiesen, als die formidablen Gurr dort ihren stimmungsvollen, beat-inspirierten Garagen-Indierock auf die Bühne gebracht haben. Ich weiß nicht, ob dieser Band der - verdiente - Erfolg bekommen ist, spielten sie doch dieses Jahr schon auf jenem Mainstream-Großevent namens Das Fest, und zu allem Überfluß auch noch auf der Hauptbühne - was im allgemeinen nicht unbedigt ein ästhetisch-geschmackliches Gütesiegel verbürgt, sondern zumeist eine Regression in den Massengeschmack anzeigt. (Vielleicht sind sie dennoch integer geblieben, es wäre ihnen zu wünschen ...)

³) Genremusiker tendieren ja oft zu stilistischen Szene-Klischees, Modemätzchen und albernen Bühnenshow-Einlagen, die den Konzertgenuß selten zu steigern vermögen. Die Aufdringlichkeit dieser Klischees ist durchaus notorisch. Endgültig zu sich kommen sollte dieser Oberflächenwahn zehn Jahre später im sogenannten Glamrock.

 

.