Q is not Q

Wir haben's nicht leicht – aber Sie ja auch nicht, liebe Leserin, werter Hörer. Schon vor wenigen Jahren geisterten Nachrichten durch die Ticker, die dauerempörten Wutbürger jener Partei, die sich da schamlos als „Alternative“ empfiehlt, würden auf ihren Kongressen und Wirsinddasvolksaufläufen alternative Informationsquellen propagieren, nämlich „freie Medien“; wir waren not amused, schließlich ist das Etikett „Freies Radio“ seit jeher leidenschaftlich links konnotiert, also aufklärerisch, kritisch, emanzipatorisch. Und eben nicht Lieferant von identitärem Ressentiment und rassistischem, reaktionärem Dünkel.

Nun wurde es – imzuge der durchgeknallten Szene illustrer Coronaleugner und weiterer so pseudolinker wie kryptorechter Umtriebe auf „Hygienedemos“ – noch bunter. Unser herzallerliebstes Q, Initiale und Erkennungszeichen Ihres Karlsruher Lieblingssenders im Rundfunk, droht von einer obskuren Idiotensekte gekapert zu werden. Es geht um „Qanon“, das Q als emblematische Abkürzung steht dabei gleichermaßen für question bzw. questioning, also das Fragen oder Infragestellen. Eigentlich kein unsympathisches Herangehen, diese sokratische Methode, denn die Welt – in ihrer derzeitigen Verfaßtheit – infrage zu stellen, das treibt uns ja auch seit vielen Jahren schon höchstverbindlich um. Doch mit Qanon verhält es sich ganz anders: Wessen Denkapparat aufgrund verflixt verstaffelter Alltagsroutine nicht mehr zwischen Realität und dem Bourne Ultimatum unterscheiden kann, zwischen der Handwerkskammer und Area 51, zwischen Chemnitz und Gotham City, zwischen Betriebswirtschaft und Illuminatenquatsch, zwischen internationaler Diplomatie und dem Da Vinci Code, bei dem wird es schon schwer zu beurteilen, ob hier ein sogenannter Verschwörungstheoretiker vorliegt oder schon ein properer Verschwörungspraktiker. Wobei das Wort „Verschwörungstheoretiker“ solchen Pfeifen aber noch zu viel Ehre antut, sind sie doch nur Verschwörungs-Gläubige, die allen Kriterien von Rationalität und analytisch prüfendem, geschweige denn kritischem Verstand abhold sind. Während es nie dumm ist, sich zu fragen, Was passiert hier eigentlich? Wie ist diese Welt beschaffen? Was hält sie in Bewegung?, fragen die selbsternannten Querdenker (noch ein Q!) immer nur, Wer steckt dahinter? Wer ist schuld? Wer zieht die Fäden? Wer führt uns hinters Licht? Einen wirklichen Begriff vom Licht, vom Verstehen, von Aufklärung und Kritik, von Gesellschaft und Ideologie haben sie natürlich nicht. Die Definition von Bösewichtern ist tiefstes psychisches Bedürfnis.

Ihre wahlweise auf Bill Gates oder George Soros, auf Drosten oder Merkel, die „Globalisten“ oder, ganz schlicht, auf „die Politiker“ zulaufenden Allmachtsprojektionen sind aberwitzige Karikaturen von cui-bono-Szenarien. Immer sind „die da oben“ schuld, das angebliche „Establishment“, mit ihrem Chef sind die Speichellecker aber per du, die nationale Wirtschaft ist heilig und muß brummen. In ihren unglücklichen Köpfen verknäulen sich Desinformation und Der Große Austausch, Kinderhandel & Corona, allseitige Verschwörung, Volksverrat, Umvolkung und Volksempfinden, Propaganda und Pizzagate zu einem so abenteuerlich paranoiden Rhizom, daß Worte wie „abstrus“ schon lange nicht mehr hinreichen. Ihr Wahlspruch Where we go one, we go all („Einer für alle, alle für einen“) erinnert in genauso lächerlicher Weise an die gute alte Zeit der drei Musketiere wie die sattsam bekannte Psycho-Grinsemaske der Anonymous-Bewegung. Schon seit längerem scheint sich das Urteilsvermögen der menschlichen Hirnwindungen reziprok zu den steigenden Datenübertragungsraten zu entwickeln. Hübsche Zierbärte, dicke SUVs und teure gaming-PCs gehören indes zum Standard der Herren Verschwörungsdurchschauer wie die selbstgebastelten Waffen des Hallenser Killers oder anderer erbärmlicher Incels und Hater.

Alles in allem also recht krudes Zeugs, konfektionierte Mode-Ideologie, die vor allem Jungen im präpubertären Alter zu faszinieren vermag, wie früher in den 70ern mal asiatischer Kampfsport, Gruftie-Esoterik in den 80ern, Rammstein- und Scooter-Look in den 90ern, Spiritismus um 1900 oder offener Antisemitismus in den 30ern. Bemerkenswert auch die kindische Faszination für Codes: Waren es bei den Stiefel- und Schlägernazis noch „88“ oder weiße Schnürsenkel, bizarre Runen oder „18“, um Hakenkreuz und Volksverhetzungsparagraph zu umgehen, so sind es bei den Netzneurotikern nun „Q“, ZOG oder irgendwelche hirnerweichenden Internet-Memes. Der symbolistisch verquaste Verquerdenker-Schmarrn, der dem compacten Drehbuchautorenhirn eines mystery-Blockbusters entsprungen scheint, ist so klischeehaft und albern, daß man eigentlich darüber schmunzeln oder laut prustend losplatzen müßte. Wären es nicht so viele, und meinten sie nicht so ernst. Jede Zeit hat die Mythen, die sie verdient. Wir – leben in finsteren Zeiten.