Propaganda - so echt wie das Leben

Seit Wochen schon starrt einen auf Plakatwänden die - soll man sagen: befremdliche? nein: aufdringliche Kombination an aus stilisierter Sepia-Ästhetik und einem an kaiserliche Kolonialarmeen, wenn nicht an die Wehrmacht gemahnenden Slogan: "Mali: Ihre Mission macht auch dein Leben sicherer." (Plakat)
Da fehlt nur noch die Frakturschrift, um ohnehin augenfällige historische Bezüge perfekt zu machen; aber so unkritisch und enthistorisiert ist offenbar das Urteilsvermögen der adoleszenten Adressaten, daß nicht einmal dies den faden Beigeschmack der eh geschmacklosen Werbekampagne bemerken läßt.

So so, Mali. Recherchiert man ein wenig, worum es da geht, ist schnell klar: Die Plakate werben gar nicht primär für den Kriegseinsatz selbst, sondern für eine Internet-Glotzserie, die jungen Leuten den Sinn des militärischen Einsatzes, pardon: der Mission nahebringen soll. Es handelt sich also um Propaganda im reinsten Wortsinn; das Wort "Mission" ist noch extra hervorgehoben. Daß Sterben und Töten, ureigenste Alleinstellungsmerkmale militärischen Tuns, nicht ohne Pathos vonstatten gehen, darauf wird nicht erst durch den sakralen Wortschatz ("Mission", Ehre, "dein Leben") eingeschworen. Schon seit bald zehn Jahren hat die deutsche Armee einen ideologischen Offenbarungseid derart geleistet, daß der ohnehin ranzige Slogan "Wir dienen Deutschland" auch noch in Einzelworte propagandistisch seziert werden mußte; denn da stand nun: "Wir. Dienen. Deutschland." (2011) Es ging also nicht nur - wenig verwunderlich - um "Deutschland", sondern in erfrischender Offenheit ums "Dienen" (was ja eigentlich etwas Vordemokratisches, Vorbürgerliches, Unmündiges ist) und natürlich ums "Wir", das Wir der kameradschaftlichen Volksgemeinschaft resp. volksgemeinschaftlichen Kameradschaft. Wem der Sinn seines Lebens also ein ewiges Rätsel ist (was vermutlich auf viele zutrifft), der kann sich nun mit untertänigem Dienen und Opferkult selbiges versüßen.

Die Ästhetik ist bekannt: Aus den nicht zufällig ocker-bräunlichen Tarnfarben des Wüstenkriegs schaut uns ein zeitgemäß vollbärtiges Mannsbild an, obwohl doch längst darauf insistiert wird, daß - wie marginal auch immer - Frauen, die, wie bei der Polizei, bevorzugt dem Blondinen-Klischee zu entsprechen haben, ebenfalls in der Armee vertreten sind. Hatten sich die Worte des damaligen Kriegsministers "Unsere Sicherheit wird [...] auch am Hindukusch verteidigt" (Struck, 2009) längst zum Kalauer verselbständigt, so sagt "Ihre Mission macht auch dein Leben sicherer" freilich nichts anderes aus. Insofern bemerkenswert, wie offen und dreist der ideologische Stumpfsinn schon wieder - oder besser: immer noch - auf die Menschen einprasselt. Die ihn offenbar goutieren; denn so hirnrissig sind die PR-Strategen der Streitkräfte und des Staatsapparats auch nicht, daß sie offen dysfunktionale Kampagnen starten würden.

Punktuelle Kritik an der Wehrwerbung übt die sozialpartnerschaftliche Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Sie hält die Action-Serie für ungeeignet in der Bildungsarbeit, es gehe wie "auf einem Abenteuerspielplatz" zu, "im Stil von Mission Impossible [...] Eine solche Serie ist dem Ernst der Lage nicht angemessen", so die GEW.
Welcherart Leute ziehen solche Kampagnen an? Muß man sich wirklich wundern, wenn - wie immer mal wieder geschehen, z.B. in Afghanistan - Söldnernaturen mit Leichenteilen Fußball spielen oder auf makabren Selfies mit Totenschädeln posieren? Ob die stolzen Waffenträger bekennende Rechtsradikale sind oder nicht, ist dabei sekundär (wie schon damals, beim Kaiserlichen Heer bzw. der Wehrmacht); entscheidend ist das Mittun, die Verrohung, die offenbar mit dem chauvinistischen Gewaltdienst einher geht. Aber dies seien ja nur registrierte und von den Medien aufgeblasene Einzelfälle, die berühmten schwarzen Schafe. Der idealtypische Soldat sei hingegen "diszipliniert" und tue so etwas nicht. Dabei kompensieren doch die infantil-prahlerischen Geschmacklosigkeiten bloß, auf eine ebenso hilflose wie widerliche Art, den eigenen Objektstatus als Befehlsempfänger und potentielles Kanonenfutter; man möchte - nicht erst in dieser Generation - lieber Täter als Opfer sein: "Du Opfer!"

Wie hätte die Kriegsreklame vor 100, wie vor 75 Jahren ausgesehen?
"Verdun. Ihr Waffengang macht auch dein Volk stärker."
"Leningrad. Ihre Mission rettet unsere Rasse."

Ach ja: "Nazivergleiche" gehen ja gar nicht. Was mal einen Sinn darin hatte, daß die deutsche Barbarei nicht beliebig nivelliert werde in absurden Abwehr-Diskursen, wächst sich mitunter zu einem Denkverbot derart aus, daß jeglicher "Nazivergleich" - und sei er nicht apologetisch, sondern Moment kritischer Erkenntnis - a priori zu unterbleiben habe. Doch einerseits ist "vergleichen" nicht gleichsetzen. Andererseits ist wenig verstanden, wenn die NS-Epoche als singuläres Zwischenspiel eines metaphysischen Bösen irrealisiert und aus sämtlichen objektiven historischen und ideologischen Kontexten herauspräpariert, von allen bestehenden Bezügen gesäubert wird. So wird die tatsächliche Singularität zu einem Popanz, der nicht weniger diskursive Spielmarke ist als ein perfider "Nazivergleich" selbst.

Daß man für die staatliche PR-Kampagne "Du bist Deutschland" (2005) gar keinen Nazivergleich ziehen mußte, sondern die Parole selbst eine (vermutlich unfreiwillige und somit peinliche) Reminiszenz an den Nationalsozialismus ist, und zwar nicht nur inhaltlich-semantisch, sondern wortwörtlich und historisch belegbar, darauf haben dankenswerterweise bereits andere hingewiesen.

 

Redaktion Sachzwang FM