Haunting … und besser als Björk und Bowie: Cate Le Bon live

ein Konzertbericht der Redaktion Hörsturz

Wenn internationale Tourneen nur drei deutsche Städte streifen, sind zumeist renommierte Künstler, Bands und Musiker in übergroßen Hallen oder Stadien live zu sehen, beispielsweise in Hamburg, München und Berlin. Auch Cate Le Bon machte nur in drei Städten halt – Hamburg, Leipizig, Heidelberg –, jedoch fanden am Sonntag nur ca. vierzig Leute in den Heidelberger Karlstorbahnhof. Es ist ein Jammer und aber auch bezeichnend, daß die (nach einhelliger Meinung des Hörsturz-Sekretariats) beste und interessanteste Musik des auslaufenden Jahrzehnts von einer Band bzw. Musikerin kommt, die derart unbekannt zu sein scheint. Szenemedien sprechen in solchen Fällen ja immer gern von einer „eingeschworenen Fangemeinde“, man kann es aber sicher auch weniger religiös ausdrücken. Mir jedenfalls war klar, daß ich nicht enttäuscht werden würde, so erhaben ist die ästhetische Fallhöhe, von der aus Le Bon auch in schwächeren Stücken noch agiert. Das ist allerhand … und klingt großspurig dahergesagt, doch wer Hörsturz kennt, weiß, daß hier nie ohne Grund Superlative bemüht werden. Die 2010er Jahre sind ein Jahrzehnt, in dem erstaunlich viele und gute psychedelische Indie-Bands zu Ruhm gelangt sind, und doch spielt Cate Le Bon sogar innerhalb dieser Szene beyond.

Allerdings dämmerte mir irgendwann, daß ich mit dieser Location, dem Heidelberger Karlstorbahnhof, vor allem solche tollen Musiker assoziiere, die nicht mehr leben. The Fall spielten dort 2004, die magische Band Broadcast ein Jahr später. Mark E. Smith, Sänger von The Fall, starb 2018, Trish Keenan, Sängerin von Broadcast, bereits 2011 … Mit Smiths spröder Band The Fall hat Cate Le Bons Musik wenig zu tun, aber umso mehr mit der zum Innehalten nötigenden Gruppe Broadcast, die hier 2005 aufgetreten war. Die Integrität des Heidelberger Publikums war mir schon damals aufgefallen, als ein – mir leider unbekannter – geschmackssicherer Fan „Poem of dead song!“ in den Saal rief, eine Zugabe, die auch ich mir sehnlichst gewünscht hätte.

Le Bon selbst heißt eigentlich Cate Timothy, ist Mitte Dreißig und kommt aus Wales. Sie trat als Sängerin und Gitarristin einer sechsköpfigen Band auf. Das Œvre der nunmehr fünf Langspielplatten umfaßt genau zweieinhalb Stunden einzigartiger Musik. Musik, die Leidenschaft – oder Wissenschaft? – der Musen. Fünf Alben, allesamt auf verschiedenen Labels, darunter so gediegene wie Drag City Records, Wichita oder Mexican Summer.
Nun kannte ich die aktuelle Platte der Musikerin nicht, aber alle vier bisherigen aus dem vergangenen Jahrzehnt (das Debut erschien 2009). Gerüchte, die neue Platte klinge „anders“ als jene älteren Veröffentlichungen, lösten eine gewisse Skepsis aus, doch hat eine derartige Ausnahmekünstlerin einen Vertrauensvorschuß verdient.* Man war also gespannt. Und wurde nicht enttäuscht, auch wenn gleich einer Drohung mehr Saxofone (in drei verschiedenen Größen!) als Saiteninstrumente auf der Bühne drapiert waren und auch zum Einsatz kommen sollten. Tatsächlich sind die neueren Stücke weniger rhythmisch und straight als noch vor Jahren, doch haben auch sie ihren eigenen Reiz.

Die Musikpresse hebt „psychedelische Einsprengsel“ in Le Bons Liedern hervor, und in der Tat sind genau sie die Würze, von der die Musik lebt: Genug manieristisch, um hier und da Irritationen auszulösen und Neugier auf mehr zu wecken, aber nicht überstrapaziert, sodaß es als Masche doch nur Gähnen auslösen würde: arty farty. Konkret heißt das, daß der Gesang von Cate Le Bon regelmäßig ganz gewagte Intervalle überbrückt und haarscharf am Atonalen vorbeischrammt, und dies natürlich vorsätzlich. Ihre mit bizarren Harmonieläufen durchsetzte Musik ist etwas für Leute, die noch staunen können – und wollen. Staunen über die Welt, im guten wie im schlechten.
Nun kann man nicht sagen, daß Cate Le Bon kein Kind von Traurigkeit sei. Ihre Musik ist oft, aber nicht immer melancholisch, doch das Hochsensible ist hier nicht zu gespreizt, zumindest mir nicht. Die vollends egozentrische und ins Infantile abgleitende Divenhaftigkeit und Theatralik einer Björk oder eines Bowie ist ihr fremd. Psychotisch-postmoderne Selbstreferentialität muß außen vor bleiben, man arbeitet sich vielmehr an einer unwirtlichen und widersprüchlichen Außenwelt ab, als im eigenen Wohlfühl-Kokon seine Kleinkunst zu spinnen. Daß besagte Kokon-Diven seit Jahrzehnten Stadien füllen, während Le Bon vor fünfzig Conaisseuren und Conaisseusen spielt, sagt genug (und nichts gutes) über unsere Zeit aus. So verstörend betörend aber die Musik der Sängerin, so verstörend betörend die Präsenz und Erscheinung einer Konzertbesucherin, die sich – inmitten der mehrheitlich von Pärchen besuchten Darbietung – mittig im Publikum plazierte, die ganze Zeit allein blieb und einen Kokon aus Vakuum bzw. Luft um sich wußte. Wenn so verstörend bezaubernde Menschen so verschrobene Musik hören, ist die Welt noch nicht verloren.


 

*) Doch, ich merke sehr wohl, daß in diesem Nebensatz schon zwei no-go-Wortungetüme stehen. Aber hier stimmt es wirklich, es handelt sich mithin um eine wohlplazierte Phrase.