"Die CDU braucht die AfD"
Ein Kommentar der Redaktion Sachzwang FM
Frage: Ist bei einem kriminellen Gewalttäter bspw. aus Hessen, der in Sachsen offenbar wahllos Menschen angreift, seine Herkunft das ausschlaggebende Moment für die Sachlage – oder die psychisch-mentale Disposition des Täters? Die Frage ist offenbar rein rhetorisch und nicht ernstzunehmen. Frage: Ist bei einem Gesinnungstäter bspw. aus Niedersachsen, der in Bayern gezielt politischen Terror verübt, seine Herkunft das ausschlaggebende Moment für die Sachlage – oder die ideologische Ausrichtung des Täters? Auch diese Frage ist leicht zu beantworten.
Ist aber der Täter nicht deutsch (und zwar nach volkstümlich-rassistischen Kriterien, Staatsbürgerschaft spielt mittlerweile kaum noch eine Rolle), so scheinen alle Sicherungen durchzubrennen: Weder die psychischen Beschädigungen eines Menschen noch seine politisch-ideologische Fanatisierung sind dann ursächlich, sondern: daß er ein Ausländer ist. Dann muß er raus! Egal, ob er woanders das Blutbad anrichtet, das vielleicht "hier bei uns" passiert ist. Er muß auf jeden Fall anders bestraft werden als ein Deutscher, der dasselbe tut. Er muß raus!
Und damit nicht genug: Tausende, Abertausende, ja Millionen von Ausländern oder auch nur rassistisch stigmatisierte Mitbürger werden scheel angesehen, als ob "vier Fälle in so kurzer Zeit" (gemeint sind vier Gewalttäter inmitten von vier Millionen Unschuldigen) irgendeine Aussagekraft über einen bestimmten Menschenschlag hätten. "4 Messerstecher innerhalb von 1 Jahr!" Wie war das mit der "Verhältnismäßigkeit", auf die man Israel (das 1200 Tote an 1 Tag zu beklagen hatte) so gerne eingeschworen hätte? Bildungsferne Boulevardmedien, die nicht rechnen können, toben und schäumen seither ...
Der Amokfahrer von Magdeburg war primär ein Rechtsextremist, ebenso wie der jugendliche Amokläufer 2016 in München. Bekannt aber wurden sie als: gefährliche Ausländer. Ist die Gesinnung ursächlich für die terroristische Gewalttat oder der Paß (oder die Hautfarbe)? Ebenso bei islamischem Terror, sei es in Paris oder Gaza: Der Rechtsextremismus islamischer Spielart gehört überall geächtet und konsequent bekämpft, stattdessen hetzt man gegen: Ausländer, Migranten, Fremde.
Wer aber die grassierende Hetze beim Namen nennt, gilt schon als Relativierer und Verharmloser. Das dumpfe Bauchgefühl der homogenen Bio- und Kartoffeldeutschen weiß wieder einmal besser, was ist, als irgendwelche statistischen Spitzfindigkeiten weltfremder Intellektueller. Demagogie verfängt einfach besser als Aufklärung, nicht zum ersten Mal.
Und dann ist auch noch Wahlkampf. Österreich und die Vereinigten Staaten sind offenbar das Vorbild. Merz dreht durch: Er will Ausländer, was den Grenzübertritt betrifft, kollektiv bestrafen. Und wenn seine feine Partei nur mithilfe der rechten Schmuddelkinder der AfD eine Mehrheit organisieren kann – was noch bis vor kurzem als unmoralisch und unschön, inopportun und bäh galt –, auch das ist dem Volkstribun nun egal.
Wie also dem Mob beikommen, der – von Fakten unbeeindruckt – seinem Ressentiment und Rassismus auch an der Wahlurne freien Lauf läßt und die Faschisierung vorantreibt? Vielleicht hilft wirklich nur ein Parteiverbot. "Doch hat ein solches Verbotsvorhaben denn überhaupt Erfolgschancen?" Aufschlußreich ist, wie die zuständigen Behörden, nämlich die Verfassungsgerichtsbarkeit, argumentieren: Die NPD (neuerdings mit dem für Blöde schönen Namen "Die Heimat") sei zwar eindeutig verfassungsfeindlich, aber zu klein, um sie verbieten zu müssen. Die AfD nun – erwiesenermaßen umso erfolgreicher, je faschistischer sie (bspw. in Gestalt eines Höcke) auftritt – sei, so hört man überall, zu groß, um sie verbieten zu können. "Man kann doch nicht 20% der Wähler vor den Kopf stoßen!" Aber offensichtlich kann man 20% der Menschen im Land vor den Kopf stoßen, gegen die sich die rechte Partei permanent in Anschlag bringt. Das ist wohl legitim.
FDP und AfD haben Bereitschaft signalisiert, das rabiate Merz-Vorhaben unterstützen zu wollen. So liberal sind diese Liberalen, daß sie Ausländern – manchen zumindest – die Einreise verweigern wollen, obwohl doch die offenen europäischen Grenzen ein kolossaler gesellschaftlicher Fortschritt waren. So christlich ist diese CDU/CSU, daß sie Positionen vertritt, auf die pöbelnde Rechtspopulisten (zurecht) ihren Urheberrechts-Anspruch erheben.
Im politischen Mainstream zumindest der seriösen Öffentlichkeit ist die müffelnde Herrenpartei mit der Kanzlerkandidatin immer noch ein Außenseiter. Umso bemerkenswerter, daß es der CDU gar nicht peinlich zu sein scheint, daß die parlamentarischen Ausländerfeinde immer nur sie umwerben und nicht SPD, Grüne oder Linke. Wie fühlt es sich eigentlich an, von Rechtsextremen umgarnt zu werden?
Die Sozialdemokratie, gar nicht zu reden von der organisierten Linken, ist seit Jahrzehnten in der Krise. Das hat mit innergesellschaftlichen Entwicklungen, dem Wegbrechen ganzer industrieller Milieus, ebenso zu tun wie mit enttäuschten Erwartungen an eine Partei, die sich seit jeher als sozialpolitisch kompetent verkauft hat, dann aber (Stichworte Agenda 2010 und Hartz IV) noch den Sozialabbau der langen Kohl-Ära übertrumpft hat.
Noch vor fünf oder zehn Jahren hatte die CDU gute Gründe, die SPD zu belächeln, ja fast schon Mitleid zu haben mit der im Dauerkrisenmodus verkümmernden Sozialdemokratie, die sich verläßlich zwischen kapitalistischer Staatsraison und dem sozialpolitischen Versprechen zerrieben hat. Längst erschien sie irrelevant, nur der sonderbar konturlose Kanzlerkandidat Scholz (Deutsche lieben Technokraten, nachdem sie mit einem Choleriker schlechte Erfahrungen im Weltkrieg gemacht haben) hatte das Siechtum 2021 so überraschend wie temporär aufhalten können.
Nun droht der CDU beruhigenderweise dasselbe Schicksal: So wie die SPD zwischen "staatspolitischer Verantwortung" und Sozialstaatsversprechen zerrieben wurde, so wird die CDU gehörig Federn lassen zwischen dem selbstgefällig-humanistischen Selbstbild einer Partei der Mitte – und der immer unverhohleneren Tendenz nach rechts, was Gesinnung und Koalitionsgebaren angeht (die Avancen der AfD sprechen ja eine deutliche Sprache). Große Teile von Parteibasis und Wählerschaft halten die "Brandmauer" gegen rechte Bündnisse schon lange für überflüssig, sollen das aber nur hinter vorgehaltener Hand sagen; man werde ja sofort "in die rechte Ecke gestellt". Und man gibt noch nicht mal zu, daß man dort hingehört. Viele treudoofe Wähler, die aber wirklich Wechselwähler der Mitte zwischen SPD und CDU, FDP und Grünen sind, würden sich von der Union abwenden, wenn auf einmal das Propagandabild der Mitte-Partei bröckelt und sich die rechte Fratze von Merz, Spahn & Co. zeigt. Das ist das Dilemma der CDU; möge es sie zerreiben.
Längst hat die FDP im Herbst 2024, genau wie schon 1982, klargemacht, daß Koalitionen mit der SPD Vernunftehen und notwendige Übel gewesen sind, daß aber ein Zusammengehen mit CDU (und AfD, Lindner polterte in Talkshows wiederholt vom "deutschen Volk") eine Liebesheirat ist. Die Differenzen sind marginal und rein kosmetisch: Hat die Union noch ein paar Bonbons für treudoofe Exemplare des "kleinen Mannes", dem die elitäre FDP suspekt ist, in petto, also etwas Symbolpolitik, so führen die Liberalen noch ein paar tradierte gesellschaftspolitisch progressive Ideen im Programm, die natürlich bei Koalitionen mit den Konservativen als erstes kassiert werden. Die heilige "deutsche Wirtschaft" – von Linken, Grünen und anderen Volksverrätern stranguliert – ist der Fetisch, dem es zu huldigen gilt. Und zu opfern.
Überhaupt: "Brandmauer". Die Idee, Salonfaschisten und deutschnationale Identitätspolitiker draußen zu halten, war gar nicht schlecht, wenn sie schon demokratisch legitimiert in den Parlamenten herumsitzen müssen. Die magische "Brandmauer", ein Wort wie von Mittelalterfans ersonnen (die auch "händisch" sagen, wenn sie manuell meinen), war aber von vornherein auf Sand gebaut, um im Jargon zu bleiben. Ziemlich naiv anzunehmen, daß über kurz oder lang nicht doch zusammenwächst, was zusammengehört.
Leo Fischer hat recht: "Die CDU braucht die AfD." Und zwar, um sich als Mitte inszenieren zu können. Das fiel jahrzehntelang ziemlich schwer. Schon Franz-Josef Strauß, der polternde CSU-Sumo aus den 50er bis 80er Jahren, postulierte doch, "rechts der Union" dürfe es keine Partei in deutschen Parlamenten geben. Womit er kaum verhüllt einiges über seine eigene Partei gesagt hat. Die Hirnerweichung des Neoliberalismus im Gefolge von über 40 Jahren geistig-moralischer Wende jedoch läßt die Menschen heute glauben, daß CDU/CSU Parteien der Mitte seien – nur weil sie das unablässig seit über 70 Jahren behaupten. Und weil im Nachgang des deutschen Nazi-Faschismus das Wort "rechts" längere Zeit einen schlechten Klang hatte.