Bemerkenswert befangen

"Ein Schuft, wer Böses dabei denkt"
Ein grunt der Redaktion Sachzwang FM

Das hätte man sich ja denken können: Kaum tritt der unwahrscheinliche Fall ein, daß nicht nur hoffnungslos minoritäre vernünftige Gesellschaftskritiker ohne Berührungsängste für Realpolitik sich für die Aussetzung der Patente auf Impfstoffe einsetzen,² sondern das Vorhaben sogar prominente Fürsprecher z.B. in der US-Regierung gewinnt; kaum tritt dieser überraschende Fall ein, bekommt man nicht nur sofort die bornierte Reaktion der dt. Bundesregierung zu hören, der offenbar das Wohlergehen der Pharmaindustrie wichtiger ist als Fortschritte beim Bekämpfen der Pandemie auch in ärmeren Ländern. Nein, die bemerkenswertesten Argumente kommen aus den PR-Abteilungen des Gesundheitskapitalismus höchstselbst: Statt einfach zu sagen, daß ein solches – ja nur humanitäres und nicht einmal revolutionäres – Vorhaben ihren offensichtlichen Umsatz- und Profitinteressen zuwider läuft, lassen sie verlautbaren, die Herstellung der Impfstoffe sei hochkompliziert, gehöre somit nicht in die Hände von Dilettanten und sei ohnehin nicht kurzfristig anderswo hochzufahren, sodaß eine Patentfreigabe kaum Nutzen hätte.
Ein Musterfall von Ideologie, die eigentlich (im Sinne tragischer Selbsttäuschung) schon keine mehr ist, sondern bloß noch Propaganda (also schamlose Fremdtäuschung). Man fühlt sich an ähnlich lächerliche und allzu durchsichtige Argumentationen der Wirtschaftsliberalen erinnert, die Projekten wie z.B. der Mietpreisbremse allen Ernstes entgegenhalten, eine solche schaffe doch auch nicht mehr Wohnraum. Daß mangelnder Wohnraum tatsächlich der Kern des Problems und die – marktwirtschaftlich immanent gedacht – zwingende Konsequenz einer nicht genügend profitablen Bautätigkeit ist, mag zutreffen. Die Mieterinnen sollen sich offenbar – wie deutsche Arbeitnehmer in Lohnzurückhaltung und Sozialpartnerschaft – in demütiger Einsicht üben und sich die Perspektive ihrer Antagonisten zueigen machen. Nur, wer brav beliebig hohe Mieten zu zahlen bereit ist, wird hoffen dürfen, daß die Herrschaften "Investoren" dann bereit sein werden, in Laune für Wohnungsbau zu geraten. Und schon schallt, kaum daß die Option diskutiert wird, preisgünstigen demokratisch generierten Wohnraum zu schaffen, aus allen Richtungen, "der Staat" sei doch nun "auch nicht der bessere Manager". Wer sich derart das Denken abgewöhnen läßt, wird wohl noch weitere vier Jahrzehnte das Axiom "Gehts der Wirtschaft gut, gehts uns allen gut" nachbeten wollen. Aber auch das wird keinen zusätzlichen Wohnraum schaffen, denn: Die ökonomische Klasse der Vermieter hat schlicht kein Interesse daran, daß sich die Mietpreis-Situation entspannt, schließlich stößt sie sich allmonatlich an den uferlosen Mieten (und noch weiteren, künftigen Mieterhöhungen) gesund, die nur zu zahlen bereit ist, wer – wie beim Kinderspiel der "Reise nach Jerusalem" – befürchten muß, irgendwann auf der Straße zu sitzen.

 

²) eine vernünftigere Forderung wäre, das irre Konstrukt des "geistigen Eigentums" überhaupt abzuschaffen, das ja eine künstliche Verknappung von Gütern bezweckt und überdies eine kaum zu rechtfertigende Bürokratie der Ahndung und Strafverfolgung nach sich zieht, die weltweit gesellschaftliche Ressourcen völlig überflüssig bindet